Niemand kennt mich so wie du
ihnen. Normalerweise mochte Eve keine Geschichten über die Kinder anderer Leute – sie waren selten so interessant, wie die Eltern glaubten –, aber Lily hatte immer eine gute Geschichte auf Lager, und ihre Kinder schienen wirklich amüsant zu sein, wenn auch ein klein wenig verwöhnt, aber das gab Lily selbst zu. Lily erzählte, dass sie sehr früh schwanger geworden sei, schon während der Flitterwochen, doch das sei auch immer ihr Plan gewesen und sie habe sich sehr darüber gefreut.
Doch Gina gab keine Ruhe. «Ich verstehe trotzdem nicht, warum ihr nie heimgekehrt seid.»
«Meine Mutter kam lieber zu uns zu Besuch.»
«Aber ihr seid doch in dieser Stadt zu Hause.»
«Hör mal, Miss Marple, manche Menschen ziehen eben um, und das sogar mehr als einmal», sagte Lily, und Eve lachte.
«Okay, okay.» Gina hob die Hände. «Wir haben euch einfach vermisst. Das ist alles.»
Lily hatte ihre Freunde auch immer vermisst. Eines Abends, als Declan auf einer Konferenz in London war, stahl sie sich ins Krankenhaus. Paul und Clooney, Gina und Gar waren ebenfalls da. Gar war wortkarg, weil seine Frau ihn zu dem Besuch gezwungen hatte. Er wollte Paul nicht sehen und interessierte sich nicht die Bohne für die alte Freundin, die ihm bei erster Gelegenheit für immer den Rücken gekehrt hatte. Paul machte nicht viel Aufhebens darum. Er tat so, als würde er Gars Laune nicht bemerken, und ging davon aus, dass sein Freund bald darüber hinwegkommen würde. Was Lilys und Declans Bruch mit der Clique betraf, so hatte ihm das nie viel ausgemacht. Die Menschen sind, wie sie eben sind. Er holte Lily einfach einen Stuhl und sagte ihr, es sei schön, sie wiederzusehen.
«Wie geht es Declan?», wollte er wissen.
«Danke, gut», antwortete sie, und damit war das Thema erledigt.
Als sie aufstand, um zu gehen, erhob Clooney sich ebenfalls. Allerdings wartete er noch einen Augenblick, nachdem sie gegangen war, ehe er sich auch verabschiedete. Paul und Eve stritten sich gerade um die Fernbedienung, und Gina und Gar warfen einander finstere Blicke zu. Kurz vor dem Aufzug holte er Lily ein.
«Abwärts», sagte er und drückte den Rufknopf.
«Wie du willst!», antwortete sie, und er lächelte.
Sie gingen gemeinsam zum Parkplatz, und kurz bevor ihre Wege sich trennten, blieb er stehen und bat sie, mit ihm eine Kleinigkeit essen zu gehen. Clooney wusste, dass Declan verreist war, dass Daisy und ihre Freundin versorgt waren, dass Scott noch bis spätabends in der Werkstatt seines Großvaters zu tun hatte und Lily zu Hause nichts anderes erwartete als aufgewärmte Reste und die Bügelwäsche.
«Ich habe es satt, allein zu essen», sagte er.
«Ich weiß nicht», antwortete sie.
«Zwei alte Freunde, die gemeinsam einen Happen essen … bitte!», sagte er und zog eine Schnute. «Ich bin so einsam!»
Lily hatte schon immer eine Schwäche für traurige Geschichten. «Okay. Ich gebe dir eine Stunde.»
«Eine Stunde ab sofort oder ab dem Zeitpunkt der Bestellung?»
Sie dachte einen Augenblick nach und entschied, dass sie die Uhr im Blick behalten und es davon abhängig machen würde, ob er langweilig wäre oder nicht.
«Ich bin nie langweilig!», protestierte er.
«Das beurteile ich», entgegnete sie, und er folgte ihr zum Parkplatz wie ein verspieltes Hündchen. Clooney langweilte sich, und das konnte er nicht ausstehen. Paul hatte alle Hände voll mit Hochzeitsvorbereitungen und dem bevorstehenden Umzug seiner Verlobten nach Irland zu tun. Gar war für niemanden ansprechbar, und von den früheren Freunden, die Clooney in Irland gehabt hatte, war niemand mehr übrig. Val Kilpatrick war nach London gezogen, seine Schulfreunde lebten alle im Ausland, und seine Studienkollegen waren über das ganze Land verteilt. Da Clooney vor der Krebsdiagnose seines Vaters nie länger als ein oder zwei Wochen in Irland geblieben war, hatte er sich auch nie darum bemüht, mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Als er das letzte Mal da gewesen war, hatte er sich mit seinem Vater beschäftigt, und jetzt mit Eve. Aber mit Eve kamen Gar, Gina und Paul. Im Moment tat er jedoch die meiste Zeit gar nichts, außer auf der Dachterrasse seiner Schwester zu sitzen und nachzudenken. Clooney neigte eher zum Handeln als zu tiefgründigen Gedanken, und er mochte es nicht, zu lange allein zu sein. Bücher las er auch keine, denn die Geschichten anderer Männer oder Frauen fand er uninteressant. Das Projekt in Afghanistan war beendet, die Verbindung zu Stephanie gekappt. Er
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