Niemand kennt mich so wie du

sie.
    «Ich habe mein Essen fallen gelassen», antwortete Lily.
    «Dad hat sich echt Sorgen um dich gemacht.»
    «Ja, das hat er mir gesagt.»
    «Du hast mich nicht gefragt, wie mein Vorspiel gelaufen ist!»
    «Oh, Scheibenhonig mit Reis! Das war ja gestern! Es tut mir so leid, Daisy!»
    «Schon gut.»
    «Und, wie ist es gelaufen?»
    «Ich hab sie an die Wand gespielt», antwortete Daisy lächelnd.
    «Hast du es aufgenommen?»
    «Natürlich.»
    «Also, wie wär’s? Wir kochen uns jetzt eine Kanne Tee, du holst ein paar Kekse aus dem Schrank, und dann sehen wir es uns gemeinsam an.»
    «Super», sagte Daisy grinsend.
    Lily setzte sich auf die Couch, legte ihrer Tochter den Arm um die Schultern, trank eine Tasse Tee, aß einen Keks zu Abend und sah ihrer Tochter zu, wie sie stolz und fehlerfrei ihr Klavierspiel präsentierte. Sie dachte an Eve, die ganz allein auf der Welt war. Sie dachte an die Nachthemden, die Unterwäsche, das Parfüm und die Kosmetikartikel, die sie für sie gekauft hatte und die gut versteckt in ihrem Kofferraum lagen. Sie dachte an die Eifersucht und das Temperament ihres Mannes. Sie fragte sich, wie lange sie Eves Anwesenheit im Krankenhaus vor ihm geheim halten konnte, aber vor allen Dingen fürchtete sie sich davor, was passieren würde, wenn er es erfuhr.

5
    Was wir tun, aber nicht sagen
    SONNTAG, 15. JULI 1990 
     
    Liebe Lily,
    es tut mir furchtbar, furchtbar, furchtbar leid, dass ich Freitag nicht zu Hause war, als du angerufen hast. Ich habe wirklich versucht, rechtzeitig zurück zu sein, aber ich war mit Ben in der Stadt (ich nenne ihn ab jetzt bei seinem richtigen Namen, weil er offiziell mein Freund ist – mehr dazu später), und seine Bandprobe hat sich total hingezogen. Aber Clooney hat mir erzählt, ihr hättet ungefähr eine halbe Stunde telefoniert. Was läuft da? Ich dachte, du hättest kein Geld zum Telefonieren??? Ich habe ihn gefragt, wie es dir geht, und er meinte, gut. Ich wollte wissen, was es Neues bei dir gibt, aber er sagte, nichts. Worüber habt ihr euch dann bitte so lange unterhalten? Wir haben, seit du weg bist, noch nicht mal fünf Minuten miteinander gesprochen! Egal. Ich werde mich nicht beschweren, schließlich hätte ich da sein müssen. Trotzdem, ich bekomme kein einziges Wort aus ihm raus, außer wenn er mich nervt. Egal. Wo fange ich an? Ahhh! Also gut. Ben ist ein UNGLAUBLICHER Sänger und Gitarrist. Seine Band ist so cool! Sie sind zu fünft. Ben singt und spielt Akustikgitarre, Billy ist am Bass, Mark am Schlagzeug, Finbarr am Keyboard und Tom an der Gitarre. Sie nennen sich Gulliver Stood On My Son und kommen mal mindestens so groß raus wie U2. Das Konzert gestern Abend war der Hammer. Ben kam erst auf die Bühne, als die Band schon angefangen hatte zu spielen. Er nahm das Mikro und brüllte in den Saal, dass sie Gulliver Stood On My Son wären und er Ben fucking Logan. Er hat das «F-Wort» benutzt, weil das Rock ’n’ Roll ist und ein Garant dafür, dass die Leute so richtig abgehen. Dir zuliebe und weil ich mich ein bisschen dafür geschämt habe, dass Declan mitbekommen hat, wie ich ihn Arschgesicht genannt habe, habe ich mich übrigens bei ihm entschuldigt und ihn eingeladen mitzukommen. In der Kneipe bin ich zu ihm gegangen und habe gesagt: Hör zu, ich vermisse Lily, und das lasse ich an dir aus, weil sie dich die ganze Zeit anruft und mich nie. Er hat echt nett reagiert. Er hat gesagt, er wäre froh, dass es daran läge, weil er sich echt Gedanken gemacht hätte, womit er mich beleidigt haben könnte, und das würde er niemals wollen. Dann hat er mir einen Drink spendiert. Ich habe mich natürlich revanchiert, aber die Geste zählt. Jedenfalls ist Declan dann auch zum Konzert gekommen, zusammen mit Gar, der das Mädchen aus Bray mitbrachte. Sie ist wirklich nett, aber sie macht erst im September ihren Abschluss, die Ärmste. Sie hat das ganze Theater noch vor sich. Egal, zurück zum Konzert. Die Band vor Gulliver Stood On My Son nannte sich Bricking It, was ein passender Name war, weil sie total grottig waren. Ich habe mich die ganze Zeit verrückt gemacht, weil ich dachte: Was, wenn sie so nervös sind, dass sie trotz der guten Proben auch so grottig spielen? Meine Meinung hätte man mir doch sofort angesehen, und ich hätte Ben auch keinen Gefallen getan, wenn ich gesagt hätte: Klar, ihr wart spitze, obwohl sie ganz und gar nicht spitze waren. Aber das ist jetzt auch völlig egal, denn sie waren spitze. Sie haben den Laden total