Niemand kennt mich so wie du
Urinbeutel, du hast einen Schlauch im Knie, an dem ein Beutel für das Wundsekret hängt, und dasselbe an der Schulter. In deinem rechten Arm steckt eine Infusion.» Sie hob Eves gesunde Hand hoch. «Und das ist ein Zentralzugang – dadurch verabreichen wir dir deine Medikamente.»
«Also liege ich nur hier rum, pinkle und kacke vor mich hin und halte nach Kaninchen Ausschau.»
«Heute. Morgen wird es besser sein. Versprochen.»
Ehe Lily ging, befeuchtete sie Eve die Lippen mit ein paar Eiswürfeln und versuchte dabei, den Schnitt nicht zu berühren.
«Irgendwelche Neuigkeiten über Ben?»
«Wenn es was Neues gibt, sage ich dir Bescheid», sagte Lily, um einen neutralen Tonfall bemüht.
«Okay.»
Um sieben Uhr abends, kurz vor dem Schichtwechsel, sah Lily zum letzten Mal bei Eve rein. Sie war unruhig und sprach im Schlaf. Lily wartete, bis sie sich wieder beruhigt hatte, und ging dann zur Übergabebesprechung ins Stationszimmer.
Im Laufschritt durchkämmte Lily das Einkaufszentrum. Der Besuch war spontan, und sosehr sie sich auch beeilte, sie würde trotzdem zu spät nach Hause kommen. Der Akku ihres Telefons war leer, und sie wusste, dass Declan sich Sorgen machen würde, und wenn Declan sich sorgte, dann wurde er wütend. Sie konnte nur hoffen, dass er noch im Krankenhaus war. Ihr Herz sank, als sie seinen Wagen in der Einfahrt sah. Scheibenkleister!
«Ich habe viermal versucht, dich anzurufen.» Er riss die Haustür auf, als hätte er hinter den Gardinen auf sie gelauert.
«Entschuldige, mein Akku war leer.» Lily war nicht in der Stimmung für eine Inquisition, nur weil sie es gewagt hatte, sich um zwei Stunden zu verspäten.
«Wo bist du gewesen?»
«Ich wurde aufgehalten.»
«Wo?»
«Bist du von der Polizei?» Die Grenzen, die er ihr setzte, gingen ihr auf die Nerven. Herr im Himmel, lass mir doch bitte Luft zum Atmen!
«Beantworte meine Frage, Lily!»
«Ach, Herrgott noch mal, Declan, ich war im Einkaufszentrum. Jetzt zufrieden?»
«Was hast du da gemacht?»
«Ich habe nach neuen Turnschuhen für Scott geschaut», sagte sie und stellte sich das Abendessen in die Mikrowelle.
«Und wo sind die Turnschuhe?»
«Ich habe nichts Vernünftiges gefunden», sagte sie seufzend und sank gegen die Wand.
«Du hättest tot sein können!»
Doch sie wussten beide, dass Declan in solchen Situationen nie an einen Unfall, sondern immer an einen Seitensprung dachte. Fragte man ihn, würde er natürlich behaupten, es sei allein ihre Schuld, dass er so geworden war, weil sie es nicht lassen konnte, mit jedem Mann zu flirten, der ihr über den Weg lief. Lily kränkte das ungemein, weil sie in all den Jahren, die sie verheiratet war, nicht einmal davon geträumt hatte fremdzugehen, selbst in den schlimmsten Zeiten nicht.
«Zählt es auch, dass ich tod müde bin?», fragte sie, um die Stimmung zu verbessern.
Sie öffnete die Mikrowelle, nahm ihr Abendessen heraus, füllte es auf einen Teller und setzte sich an den Tisch. Sie war sich nur allzu bewusst, dass ihr Mann bedrohlich still war.
«Irgendwas im Fernsehen?», fragte sie in der Hoffnung, die Wogen zu glätten.
«Nein.» Er setzte sich ihr gegenüber.
Sie fing an zu essen. Er saß da und schwieg.
«Wo sind die Kinder?», fragte sie.
«Scott ist unterwegs. Daisy ist im Wohnzimmer.»
«Wie war dein Tag?»
«Schön, bis ich dachte, meine Frau wäre tot.»
«Was möchtest du eigentlich hören, Declan?»
«Sag mir, dass du mir das nie wieder antust.»
«Herrgott im Himmel noch mal, Declan, ich habe mich um lächerliche zwei Stunden verspätet!»
Declan nickte. Er nahm ihr den Teller weg und schleuderte ihn gegen die Wand. Der Teller zerbrach, und das Essen spritzte in alle Himmelsrichtungen. Lily starrte erst den Teller und dann ihren Mann an.
«Zwei Stunden sind eine Ewigkeit!», sagte er und ging hinaus.
Lily blieb eine Weile am Tisch sitzen, den Kopf auf die Hände gestützt. Nach ein paar Minuten stand sie auf und fing an zu putzen. Sie fragte sich, was Eve dazu sagen würde. Ich habe es dir doch gesagt? Was hast du denn erwartet? Wie konntest du dieses Arschgesicht nur mir vorziehen? Wieso hast du mir nie die Chance gegeben, es zu erklären? Wieso hast du mir nicht vertraut? Es hätte alles ganz anders kommen können. Womöglich hatte Eve recht gehabt, was Declan betraf, aber Eve kannte Declan nicht so, wie sie ihn kannte. Andererseits …
Sie wischte die Wand ab, als Daisy in die Küche kam.
«Was ist denn hier passiert?», fragte
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