Niemand lebt von seinen Träumen
erst. Bis jetzt haben Sie ein leichtes Spiel gehabt, Susanne, und wir haben auch Ihren Frank benachrichtigt. Ist erst aber einmal New York in Sicht, dann kann Ihnen von uns keiner mehr helfen. Dann sind Sie wieder der blinde Passagier, und zwar einer, von dem wir keine Ahnung hatten, und der erst entdeckt wird, wenn der Hafen in Sicht ist. Es kann dann viel Aufregung geben, Susanne.«
»Ich fürchte mich nicht«, sagte das Mädchen fest.
»Man wird Sie unter Umständen tagelang verhören.«
»Das kann man, ich werde schweigen, bis Frank kommt oder Professor Krausz mir weiterhilft.«
Kim Brake sah mit Bewunderung auf das schmale Mädchen, das soviel Energie ausstrahlte. »Ich will Ihnen beide Daumen drücken«, sagte er herzlich. »Und die ganze Mannschaft mit! Aber Sie dürfen sich nicht wundern, wenn ich Sie vor den amerikanischen Kontrolloffizieren hart anpacken werde. Sie sind immerhin ein mir unbekannter blinder Passagier.«
»Verstehe, Käpt'n!« Susanne Braun sah Brake fest an. »Wenn ich bis zur Freiheitsstatue gekommen bin, dringe ich auch in die Freiheit ein.«
Ein summendes Geräusch ließ sie emporblicken. Noch über den Wolken, nur sichtbar zwischen der aufgerissenen Wolkendecke, kreiste ein Flugboot. Immer und immer wieder kurvte es um das Schiff herum, verlor an Höhe und kreiste dann, schräg auf der Seite liegend, um den Dampfer, niedrig genug, daß man die kleinen Fenster an der Seite des Rumpfes sehen konnte.
In der Funkbude der ›Giesela Russ‹ war Hochbetrieb. Immer und immer wieder beantwortete der II. Funker die Sprüche des Flugbootes, während Johnny, mit dickem Schweiß auf der Stirn, daneben saß.
»Jetzt haben sie 'se! Verdammt!« fluchte er. »Hat so ein Krüppel in Bremerhaven die Schnauze nicht halten können! Wat funkt der Bursche?«
Der II. Funker sah auf und las vor: »An das Schiff Giesela Russ: Ist Susanne Braun an Bord? Ist Susanne Braun an Bord? Meldet, ob Susanne Braun an Bord …« Der Funker drehte das Gerät auf Senden und antwortete dem Flugzeug.
»Himmel-Hosennaht und Schnauze!« schrie Johnny. »Jetzt geht die Kleene in die Verbannung! Wer der wat tut, dem polier ick die Fresse!«
Kim Brake und Jens Vondel, an ihrer Seite Susanne und Professor Krausz, sahen gespannt auf das Manöver, das sich ihren Augen bot. Das Flugzeug kurvte eine weite Acht, glitt dann zu Wasser, tanzte ein wenig auf den Wellen und schwenkte dann auf den Kurs der ›Giesela Russ‹ ein. Mit gedrosseltem Motor und schwach wirbelnden Propellern lief es auf das Schiff zu und gab durch rote Leuchtkugeln, die hoch in den blauen Himmel zischten, das Signal, das Schiff zu stoppen.
»Verflucht!« brüllte Kim Brake. »Die befehlen uns, zu halten! Bestimmt ein Polizeiflugzeug! Susanne – Sie verschwinden sofort unter Deck! Sie sind einfach nicht mehr da. Hier können uns die Brüder nichts wollen. Wir sind außerhalb der Drei-Meilen-Zone und daher unantastbar! Los, los – verschwinde …!«
Durch die Hintertür der Brücke rannte Susanne, gefolgt von Pit, die Eisentreppe hinunter, eilte durch unbekannte niedrige Gänge, klomm neue Leitertreppen hinauf und befand sich plötzlich im Maschinenraum, ölverschmierte Heizer nahmen sie in Empfang, versteckten sie in einem leeren Frischwasserbunker und warfen ihr Brot und Wurst hinterher, falls der Aufenthalt länger dauern sollte. Das ganze Schiff schien wie ein einziger Mann zu sein – jeder wußte in diesem Augenblick, was er zu tun hatte, und fühlte sich mitverantwortlich, daß Susanne Braun nichts geschah.
»Ich bleibe hier stehen«, schrie Pit zu Susanne in den dunklen Bunker hinein. »Ich halte hier Wache. Und wenn einer kommen sollte, aus dem mache ich Gehacktes …«
Zitternd vor Aufregung kroch Susanne bis an den hinteren Rand des Kessels und setzte sich dann an die eiserne Wand. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, in den Schläfen summte und rauschte das Blut.
Mein Gott, betete sie heimlich, mein Gott, laß mich nicht jetzt schon scheitern. Mach, daß ich wenigstens Frank noch einmal sehen kann, ehe man mich nach Europa zurückschafft.
Beide Hände an das Herz gepreßt, lauschte sie, was draußen vor sich ging.
Aber es blieb still. Keiner kam in den Kesselraum – nur Pit hörte sie pfeifen und herumhantieren. Und das beruhigte sie sehr, so sehr, daß sie begann, neuen Mut zu schöpfen …
An Deck standen unterdessen Professor Krausz und Kim Brake an der Reling, während Jens Vondel das Anlegemanöver leitete. Als das Flugzeug
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