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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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leckerlieblichzuckersüße Geruch durch den kalten, dunklen Burgflur und versprach Hoffnung.
    »Du bist so dumm, wie deine Mutter es war. Sie glaubte auch, alles verändern zu können. Oh, es war ihre Aufgabe, aber sie glaubte, schlauer zu sein als ich.«
    »Warum hast du sie geheiratet, wenn du sie so verabscheut hast?«, fragte Niemand und versuchte, seinen Hass nicht stärker werden zu lassen.
    »Wir waren nicht verheiratet. Ich nahm sie mir nur, weil sie darum bat.«
    Niemand schrie: »Mutter wollte dich niemals! Das glaube ich nicht.« Als er merkte, wie sich ein neuer Kloß in seinem Hals bildete, sprach er leise weiter: »Sie kann dich nicht geliebt haben.« Niemand spuckte einen zweiten Trauerkloß aus. Weinerlich rutschte dieser Richtung Ausgang. Aber diesmal sah ihn Niemand Sonst, trat zu und zerquetschte das traurige, neugeborene Leben mit seinem unsichtbaren Fuß. Zurück blieb nichts weiter als ein Klecks Rotze.
    »Wer spricht denn von Liebe? Daran hatte sie nicht gedacht. Sie hat an vieles nicht gedacht. Ihre Aufgabe war auch nicht leicht, das muss sogar ich zugeben.«
    »Was redest du da?« Niemand ging ein paar Schritte rückwärts. Sein Vater kam, dem Geruch nach, auf ihn zu.
    »Das ist nicht wichtig. Nichts ist wichtig. Nur du und ich und der Thron. Das weißt du doch.«
    Niemand lachte. Er konnte nicht anders, als die Lüge, die über die Lippen seines Vaters gekommen war, auszulachen. Eine Lüge, schmutzig und eindeutig.
    »Sicher«, sagte Niemand schließlich. »Der Thron ist dir wichtig. Warum?«
    Er spürte, dass er seinen Vater nicht geschickt genug aushorchte.
    »Er gehört mir. Niemand Sonst steht die Macht eines Landes zu. Schon deine Großmutter wusste das, doch deine Mutter hatte zu viel Phantasie. Aber sie hat ihre Aufgabe nicht gut erfüllt, wie ich meine.«
    Großmutter? Niemand wusste nichts von einer Großmutter. Niemand Sonst verwirrte ihn.
    »Du hast ihr schöne Augen gemacht und sie dann verraten! So war es doch!« Niemand hätte seinem Vater am liebsten ins Gesicht geschlagen, doch Niemand würde danebentreffen und damit gäbe er Niemand Sonst Genugtuung, die er ihm nicht gönnte.
    »Ja, das habe ich. Meine Ehrlichkeit solltest du mit entsprechender Ehrfurcht honorieren, findest du nicht? Was hat dieses stinkige Ding nur mit dir angestellt?«
    Die Beleidigungen von Niemand Sonst verstärkten Niemands Gedanken an Nina. Erdbeerduft überall.
    Niemand Sonst grunzte wütend. Niemand glaubte, dass sich sein Vater die Nase zuhielt. Das war gut.
    Eine kleine Idee gesellte sich zu Niemand.
        

42.

    Nina konnte aus den Strichen, die kreuz und quer auf dem Zettel verteilt wie die wirren Gedanken eines Verrückten wirkten, nichts erkennen. Zahlreiche weitere dieser seltsamen Bilder befanden sich in der Kiste. Nicht nur Striche, auch Kreise oder Dreiecke, oft Wolken waren darauf zu sehen. Auf manchen schien der Maler eine Ordnung gefunden und die Striche zu einer Wiese zusammengefügt zu haben, dann wieder schien er sich nicht sicher zu sein, wo er einen Strich, einen Kreis, ein Dreieck hinsetzen sollte, und hatte sie durcheinander und überlappend aufs Papier gezeichnet. Verzweiflung, daran musste Nina denken, als sie all die Zeichnungen betrachtete. Sie schob sie zusammen und legte sie verkehrt herum gestapelt aufs Bett, der Anblick jagte ihr Angst ein.
    Dann nahm sie den nächsten Brief. Vier weitere lagen noch in der Kiste. Nein, es waren fünf, der unterste steckte nicht in einem Umschlag.
      
Liebe Mutter,
heute habe ich mit meiner Arbeit begonnen. Ich weiß, ich habe lange gezögert, aber es ist eine schwere Aufgabe, voller Verantwortung, die ich nicht leichtfertig erfüllen wollte. Die meine Seele zerquetschende Einsamkeit war es schließlich, die mich zwang zu beginnen. Und auch die Angst vor alldem, was bereits hier lebt – ohne, dass ich nur wahrhaftig darüber nachgedacht habe. Es geschieht einfach so. Ich fürchte, ich enttäusche dich. Meine Fehler sind größer als alles, was ich bisher tatsächlich wünschte.
Es gelingt mir nicht, alles mit Leben zu füllen, nichts hat einen Namen. Ich weinte viel, ich fühlte mich verängstigt, selten glücklich. All das ist nun hier. Meine Angst, meine Tränen, mein Kloß – festhängend in meinem Hals – längst befreit und dauerhaft weinend über das Land taumelnd. So groß wie meine Trauer, die mich all die Zeit in Gefangenschaft nahm.
      
    Nina ließ den Brief sinken und starrte auf die letzten Zeilen.
    »Ein Kloß,

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