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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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verschwindet.«
    Wer war das nun wieder? Lilly versuchte auszumachen, wer seine Lethargie abgelegt hatte. Doch es waren zu viele Niemandsländer auf dem Marktplatz versammelt und die wenigen, die eine Diskussion begannen, gingen in der Masse unter. Lilly miaute und wollte auf die letzte Frage antworten, aber Fräulein Klimper kam ihr zuvor. Sie gähnte, reckte und streckte sich und rieb sich die Augen. »Habe ich das richtig verstanden?« Die Klimper-Wünsche-Fee tippte mit ihrem Zauberstab auf der Hohlen Frucht herum, die gleich klingende, dumpfe Töne von sich gab. Fräulein Klimper gähnte noch einmal, bevor sie erklärte: »Solche Wünsche erfülle ich nicht. Jeder muss sich seinen Platz hier im Niemandsland verdienen. Und seinen Namen!«
    Ruhe.
    Der Schlaf hatte Fräulein Klimper erfrischt und Kraft gegeben. Sie sah um Jahre jünger aus und noch nie hatte sie sich dagegen gewehrt, Wünsche zu erfüllen.
    »Das sagt auch nur eine, die schon immer einen Namen mit sich herumträgt, als sei sie deshalb etwas Besseres. So ist es doch!« Die Zimtzicke löste sich aus dem Pulk und hüpfte auf Fräulein Klimper zu. Bevor Lilly auf den Boden sprang, setzte sie sich auf die Hinterpfoten und zerwühlte Jesus’ Frisur. Jesus schrie entsetzt auf, aber die Niemandsländer beachteten ihn nicht. Er bemühte sich, seine Haare zu ordnen, doch ohne Kamm und Spiegel gelang es Jesus nicht. Er bat das Himmlische Kind um Hilfe, aber das kämpfte mit seinem widerspenstigen Horn. Jesus flehte den Nikolaus an, der ging auch nicht auf ihn ein und zeigte ihm einen Vogel, den er aus seiner Tasche gezogen hatte. Der Vogel entwischte dem Nikolaus aus den großen Händen und flog laut zwitschernd in die Freiheit. Nun hatte der Nikolaus die Hände frei, er weigerte sich jedoch weiterhin, seinem Freund zu helfen. »Mach das allein«, brummte er leise. Jesus brauchte eine Aufgabe.
    Lilly hoffte auf einen kurzen Schlagabtausch zwischen der einbeinigen, schmal gewachsenen, nach Zimt riechenden Zicke und Fräulein Klimper. Im Zicken waren sie beide wortgewandt, so gut, wie Tusnelda Laberbacke Frikadellen und Koteletts herbeiquatschen konnte. Fräulein Klimper ließ von der Hohlen Frucht ab und wippte auf ihrem Ast. Zu Lillys Überraschung achtete sie nicht auf die Zimtzicke. »Einen Namen kann ich nicht herbeizaubern, einen Namen muss sich jeder verdienen, so wie sich der Herrscher dieses Landes seinen Thron verdienen muss. Und wir sind uns doch wohl alle einig, dass nur einer dafür bestimmt ist!«
    »Ach, und du hast ihn dir verdient?« Die Zimtzicke war noch nicht fertig.
    Lilly sprang vor: »Wir müssen Nina und Niemand befreien.«
    »Und wie wollen wir das anstellen?«, fragte das Dumme Würstchen und kratzte sich an seinem oberen Wurstzipfel.
        

37.

    Niemand rannte so schnell, dass seine Augen durch den Luftsog tränten.
    »Niemand!«, schrie sein Vater hinter ihm her. »Niemand!«, und dann sanfter: »Niemand, ich habe deine kleine Freundin und glaube mir, ich werde nicht nett zu ihr sein, wenn du meine Burg verlässt.«
    Niemands Schritte verhallten augenblicklich auf dem Steinboden. Obwohl er gerannt war und nach Luft hätte schnappen müssen, blieb sein Brustkorb wie erstarrt. Angst und Sorge – diese für ihn vor einem Tag noch fremden Gefühle, die ihm neue Düfte geschenkt hatten – raubten ihm nun alle Sinne und Lebensfunktionen.
    »So ist er ein braver Junge, der Niemand.« Bissig und arglistig klangen die Worte seines Vaters, ohne einen Funken Stolz oder Liebe.
    Der Trauerkloß war tot, doch Niemand spürte ihn in seinem Hals sitzen, spie ihn aus und stellte überrascht fest, dass aus seiner Spucke der kleinste Trauerkloß des Niemandslandes auferstand und leise schluchzend den Steinboden entlang zum Ausgang rutschte. Sein Vater hatte es nicht bemerkt.
    »Ach, weine nicht, mein Sohn. Bald ist es vorbei, dann bist du bei deiner Mutter. Das hast du dir doch so sehr gewünscht, nicht wahr?«
    »Was hast du mit ihr gemacht?«
    »Wen interessiert das schon«, antwortete Niemand Sonst und schien belustigt über Niemands Hass.
    Niemand hatte seinen Vater gehasst und gleichzeitig geliebt, in der Hoffnung, eines Tages väterliche Liebe zu erhalten. Diese Hoffnung wanderte nun mit dem Trauerkloß aus der Burg hinaus. Die Liebe erlosch, der Hass blieb, aber selbst der besaß zu viel Wert, um ihn an Niemand Sonst zu verschwenden. Niemand hoffte auf die Gleichgültigkeit, die sich irgendwo im Niemandsland herumtrieb. Er drehte sich zu

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