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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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Stück näher, vorsichtig und ehrfürchtig, denn es wollte Nina nicht erschrecken. Es runzelte seine Baumrindenstirn und rieb sich seine Astlöcher, als traue es seinen Augen nicht.
    Ein Abdruck im Moos.
    Ein Gesicht.
    Ein schönes, schmales Gesicht, ein menschliches dazu – glatt und eben musste die Haut sein, mit einer filigranen, geraden Nase –, hatte sich tief ins Moos gedrückt. Die Kieferknochen zeichneten sich eckig ab – männlich. Ein menschliches, männliches Gesicht eines attraktiven Prinzen.
    »Wer soll das sein?«, fragte Lilly.
    Keiner hatte eine Antwort, denn nicht einer im Niemandsland hatte den Träger des Gesichts, dessen Abdruck im Moos zurückgeblieben war, jemals gesehen.
    Lilly roch daran, verzog die Schnauze und schüttelte sich. »Wessen Gesicht das auch war, er stinkt bis zum Himmel.«
    Die Stille hockte sich zwischen sie und verteilte portionsweise Erkenntnisse.
    »Niemand Sonst.«
    Nina sprach es aus. Nina, die wusste, dass nur einer so in diesem Land roch. Der Vater des Herrschers, der verrückteste Unsichtbare, ein Mensch vielleicht, ein Mann auch, ein Wesen, erdacht von einer Frau, die sich nur eines gewünscht hatte, geliebt zu werden von diesem einen, niemandem sonst, bei dem sie auf das schönste Gesicht geachtet hatte, das sie sich hatte vorstellen können … und dabei alles andere falsch gemacht hatte.
    Fast alles.
    »Ob es ihm gefallen wird, dass er so hübsch ist?«, fragte Lilly.
    »Er ist gestürzt, als er euch verfolgte«, stellte der Taugenichts fest.
    »Und mit dem Gesicht ins Moos gefallen?!« Auch der Nichtsnutz war zu etwas nütze – zu einer Schlussfolgerung, wie der Taugenichts –, und das brachte alle zum Lachen.
    Schadenfreude. Und Überraschung.
    »Das heißt aber auch«, meinte Lilly, »dass er vorher hier gewesen sein muss, uns irgendwie überholt und nun einen Vorsprung hat.«
    »Daran ist nichts mehr zu ändern.«
    Der Nikolaus blickte sich um, als befürchte er, Niemand Sonst überfiele sie aus dem Dickicht. Kein Blatt bewegte sich. Selbst der Wind schien zu lauschen und auf ein schnelles Fortlaufen der Geschichte zu hoffen.
    »Vielleicht braucht er Hilfe?!« Wenige Worte, fast nur ein Flüstern, ausgesprochen von seinem Bruder, der anscheinend selbst nicht glaubte, was er sagte. Denn kurz darauf meinte er: »Müssen wir nicht zurück?«
    »Ja, wir sollten uns auf den Weg machen. Niemand Sonst wird sich selbst helfen können. Vermutlich ist er  auf dem Weg zum Thron.« Der Nikolaus half Nina auf die Beine, nahm ihr Petit ab und schritt voran. Nichtsnutz und Taugenichts folgten ihm, sie hielten sich jetzt gegenseitig an den Händen und stürzten nicht ein einziges Mal, weder über eine Wurzel noch über einen Grashalm, und lag ein Stein vor ihnen, über den einer von beiden auf dem Hinweg gefallen wäre, gingen sie diesmal um ihn herum oder hüpften darüber hinweg.
        

74.

    Die Niemandsländer rannten und achteten aufeinander, wie Niemand es ihnen befohlen hatte. Sie suchten, sie passten auf, sie sahen sich um, sie horchten.
    Sie horchten nach Gefahr.
    Sie sahen sich nach Nina, Lilly, dem Nikolaus und den anderen Gefährten um.
    Sie passten auf den Admiral auf, den Niemand einer Amme überlassen hatte, die kaum größer als einer der Kreischzwerge war, aber mutig und frech.
    Und sie suchten ihn: den Kampfgeist!
    ******

    Zwei dickezehenlose Roboter waren den Worten des Windes und Niemand bis zum Thron gefolgt, aber nun schien es Zeit, sich den Befehlen zu widersetzen.
    »Wohin geht ihr?«, fragte Mister Dings, der bemerkt hatte, wie sich die beiden Roboter von der Gruppe entfernten. Er hielt seine Misses Bums fest im Arm. Sie trennten sich nie.
    »Wir lenken die Greislinge ab.« Wenn der Roboter sprach, wackelte sein Kopf.
    »Aber der Herrscher hat gesagt, dass wir seine Nina und die anderen suchen sollen.«
    »Er hat keine Chance, den Zeitschalter vor der Armee zu erreichen. Wir müssen ihm helfen.«
    Mister Dings dachte kurz nach. »Ich komme mit!« Seine Misses Bums zuckte zusammen. »Dann gehe ich auch mit.«
    »Das ist zu gefährlich. Du gehst mit den anderen.« Und das erste Mal seit ihrer Erschaffung löste Mister Dings seine Umarmung, zaghaft, aber mit absoluter Bestimmtheit. So standen sie da. Einsam und verlassen. Ein Dings ohne Bums.
    Sie fielen sich in die Arme.
    »Ich gehe mit«, sagte Misses Bums. Diese drei Worte hätten auch die berühmtesten drei Worte aller Liebesgeschichten sein können. Ein Widerspruch war Zeitverschwendung.

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