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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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ungeheuerlichen Ernst der Angelegenheit, welcher die Sicherheit der ganzen Welt betrifft, kann ich es nicht verantworten, dieses hochkomplizierte Problem auf diese Weise zu lösen.
    Meine Einstellung dazu ist jetzt folgende: Als gleichgestellte Staatsmänner mit einer bedeutenden internationalen Verantwortung können wir jetzt nur auf eine Weise verantwortungsvoll handeln, nämlich so, daß wir der Verschwörung freien Lauf lassen, bis zu dem Punkt, an dem wir die beteiligten Personen festnehmen und vernichten sowie ihnen ihr entsetzliches Diebesgut abnehmen können.
    Ich werde diese sensible Frage bei passender Gelegenheit mit dem Präsidenten der Russischen Republik besprechen, muß jedoch gestehen, daß die Zeit für diesen Schritt noch nicht reif ist. Wir haben inzwischen zwei konkrete Erkenntnisse gewonnen, die für den weiteren Fortgang der Angelegenheit von Bedeutung sind. Der wahrscheinlichste Zeitpunkt liegt um die Mitte des Monats Dezember oder etwas später. Es handelt sich um Mehrfachsprengköpfe, deren Sprengkraft auf insgesamt rund zwei Megatonnen geschätzt wird.
    In der Hoffnung, daß wir als Staatsmänner mit vereinten Kräften diese Sache zu einem glücklichen Ende führen können, zu einem glücklichen Ende nicht nur für unsere beiden befreundeten Länder, sondern auch für alle Nationen der Welt, zeichne ich mit vorzüglicher Hochachtung Michail Sergejewitsch, Präsident der UdSSR Mauno Koivisto saß eine Zeitlang mit zusammengebissenen Zähnen da und schlug mit der Faust leise und langsam auf die Tischplatte, während er zu verstehen suchte, was er soeben gelesen hatte.
    Der Brief war über weite Strecken geziert und unklar. Er schien unter Druck geschrieben worden zu sein. Das war sehr unangenehm, nicht nur wegen der Dinge, die dort tatsächlich standen; kalte, sachliche Worte wie Mehrfachsprengköpfe und zwei Megatonnen , wobei die letztgenannte Vermutung sozusagen über den Daumen gepeilt war. Das war furchterregend. Schon mit einer notdürftigen Allgemeinbildung konnte man leicht erkennen, daß es in Wahrheit um die Fähigkeit ging, alles Leben in Finnland auf ewig zu vernichten. Und dieses Zeug sollte über die Grenze geschleppt werden.
    Vielleicht ebenso furchterregend, wenn auch auf einer anderen und schwer damit vergleichbaren Ebene, war der Eindruck, den der Brief vermittelte, nämlich von einem Präsidenten geschrieben worden zu sein, der kaum noch Präsident war; von seinem eigenen Sicherheitsdienst abgehört, von der Macht verdrängt, von einem Mann wieder installiert, dessen Namen er nicht einmal schreiben wollte – zweimal stand dort ein Titel statt des Namens Boris Jelzin.
    Mitte Dezember – gab es die Sowjetunion dann überhaupt noch? Im finnischen Außenministerium zweifelte man offenbar daran.
    Wer war dann Finnlands Gesprächspartner, Boris Jelzin oder Michail Gorbatschow?
    Mauno Koivisto suchte in dem Brief, bis er die Formulierung »diese Frage bei passender Gelegenheit besprechen« fand sowie einen Titel statt des Namens Boris Jelzin, und dann »ich muß gestehen, daß die Zeit für diesen Schritt noch nicht reif ist«.
    Das konnte jedenfalls kaum bedeuten, daß Boris Jelzin zu den »bestimmten Kreisen« gehörte, welche die »Kernwaffenkarte spielen« wollten. Es konnte jedoch auch nichts anderes bedeuten, als daß Gorbatschow kein Vertrauen zu dem russischen Präsidenten hatte. Es stand jedenfalls fest, daß er dem Präsidenten des Nachbarlandes Finnland erheblich mehr Vertrauen entgegenbrachte.
    Ein Machtkampf zwischen Boris Jelzin und Michail Gorbatschow also, und inmitten dieses Wirrwarrs zwei oder mehr Megatonnen in »Mehrfachsprengköpfen«, die auf dem Weg nach Finnland waren.
    Eine Weltkatastrophe rückte da heran. So einfach ließ sich die Sache ausdrücken.
    Es verbot sich, mit Jelzin hinter dem Rücken von Gorbatschow Kontakt aufzunehmen. Das konnte zu chaotischen Verwicklungen führen, das lag auf der Hand.
    Gorbatschow mußte die Entscheidung mit Jelzin suchen, andernfalls würde Finnland bei den internen Gegensätzen der beiden Männer zerrieben werden. Und, noch schlimmer, unter Umständen würde sogar finnisches Personal bei dieser Auseinandersetzung geopfert werden, nur um das Prestige des einen oder anderen zufriedenzustellen. Doch so, wie Mauno Koivisto die Sache sah, gab es gute Möglichkeiten, von finnischer Seite die Forderung nach einer klaren Entscheidung durchzudrücken.
    Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor Mitternacht. Der Brief mußte von der

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