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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Touristengruppe durch die Bürokratie zu schleusen. Sie mußten jeweils zu zweit eine Holzbaracke betreten und Landepapiere ausfüllen, während der Haufen mit Pässen, den die norwegische Besatzung übergeben hatte, nach vollkommen unbegreiflichen Grundsätzen sortiert wurde. Anschließend wurden sie nochmals durch eine Art Zollkontrolle geschleust. Åke Stålhandske blickte verstohlen auf die blauen Zeichen an Mützenbändern und Uniformen. Ja, es war KGB. Er und Anna wurden schnell gemeinsam abgefertigt, beantworteten alle Fragen mit nein und konnten dann gehen. Der Platz, den sie überquerten, glich einem Schlammloch. Sie gingen zu einem wartenden Bus, an dem zwei Reiseführer die Gesellschaft in zwei Gruppen teilten, eine englischsprechende und eine norwegischsprechende. Anna schlug vor, sie sollten die englische Gruppe wählen, da sie kleiner war, aber Åke schüttelte fast unmerklich den Kopf; ein Fisch versteckt sich besser in einem größeren Schwarm, dachte er.
    Sie wurden zunächst zu einem Museum gefahren. Es lag an einer Hauptstraße, die sich offenbar durch die gesamte Stadt zog. Die Häuser sahen recht anständig aus. Die Fassaden waren sauber, der Putz war noch nicht abgefallen, blaue, dunkelrote und löwengelbe Farben.
    Es war ein großes, ordentlich organisiertes Museum, in dem freilich störend wirkte, daß alle Hinweise nur auf russisch abgefaßt waren. Ihre Reiseführerin unternahm einen sehr gründlichen Rundgang. Es begann mit den Tieren, angefangen bei den Fischen bis hin zu ausgestopften Seehunden und Seevögeln, es folgte die Kultur der Samen, und eineinhalb Stunden später, nach dem Großen Vaterländischen Krieg und der Geschichte seit Peter dem Großen, folgten Industrie, Metallurgie und Geologie.
    Hier und da befanden sich detaillierte Karten, bei denen Åke Stålhandske immer bis zuletzt verweilte.
    Als die Reiseführerin die Gruppe schließlich in eine Abteilung führen wollte, in der die künstlerischen Versuche von Kindern aus Murmansk für Frieden und Völkerfeindschaft gezeigt wurden, begann die Touristengruppe murrend zu revoltieren.
    Erst dann wurden sie wieder zu den wartenden Bussen gelassen, wo eine Schar von Kindern mit Zigarettenstangen zu ihnen gerannt kam sowie mit kleinerem Diebesgut und Ansichtskarten, die sich allerdings nicht leicht verkaufen ließen. Anna bekam eine Stange Marlboro in die Hand gedrückt und begann peinlich berührt in einer Art englischer Kindersprache zu erklären, daß sie erstens nicht rauche und zweitens nicht nach Rußland gereist sei, um westliche Zigaretten zu kaufen. Es war jedoch nicht ganz leicht, diese Zigaretten wieder loszuwerden, nachdem sie sie erst mal in der Hand hatte.
    Anschließend wurden sie in das große Hotel der Stadt gefahren, Hotel Arktika, und dort durch eine gewaltige, leere Halle mit einem Fußboden aus rauhem und ungeschliffenem Granit in einen Speisesaal geführt. Die dicken roten Gardinen waren zugezogen, und es roch nach abgestandenem Rauch. Die Teppiche verströmten einen säuerlichen Geruch, als wären sie mit schalem Bier getränkt worden. Sie sollten ein Mittagessen erhalten und wurden an verschiedene Tische gesetzt. Åke Stålhandske und Anna landeten in einem runden Alkoven mit hohen gefütterten Kunststoffwänden und einer kleinen Fensteröffnung, so daß sie kaum mehr sehen konnten als ihre Tischnachbarn. Ein bestimmtes Standardessen gehörte zu dem Einheitspreis, den sie bezahlt hatten. Die nach Schweiß riechenden und eifrigen Kellner begannen ohne jedes Zögern, private Geschäfte abzuschließen. Der russische Kaviar sollte zehn Dollar pro Dose kosten, da es sich um »Perestrojka« und Privatinitiative handle, das heißt um gestohlene Ware.
    Unter Gekicher und Gelächter bestellten die Reisenden Kaviar und »Champagner«, und die etwas gequälte Stimmung nach dem strapazenreichen Museumsbesuch wurde schnell heiterer.
    Zum Kaviar gab es gesalzenen Lachs, Eier, rote Bete, Gurke und Schmand. Bier gab es nicht, nicht einmal für Dollar, und der russische Schaumwein erwies sich zur Salzgurke als reichlich süß, doch auch er trug zu der zunehmend guten Laune bei.
    Ihre Tischnachbarn, die aus Kirkenes waren, hatten die Reise schon mehrmals gemacht und erboten sich, ihren neuen schwedischen Bekannten in den folgenden Stunden zu helfen, denn man könne zwischen einem Einkauf in der Gruppe wählen oder einem Einkaufsbummel für sich. Das norwegische Paar wußte genau, wohin man gehen mußte und wie man mit den

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