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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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jünger aus, diese Zerstörer da zum Beispiel sind in den fünfziger Jahren gebaut worden.«
    Er zeigte auf eine Reihe von Wracks, die zur Hälfte an Land gezogen waren, zur Hälfte unter Wasser lagen.
    »Warum tun die Russen das?« fragte sie. Er fand darauf keine Antwort. Er zuckte die Achseln und breitete mit einer resignierten Geste die Arme aus. Das Ganze erschien auch ihm unbegreiflich.
    »Aber das ist ja wohl nicht direkt ein Wrack«, sagte sie, als sie an einem großen grauen Schiff vorbeikamen, das vor Anker lag.
    »Nein, wahrhaftig nicht«, lächelte er, »das da ist der Raketenkreuzer ›Kalinin‹. Ein furchterregendes Schiff, eins der schlagkräftigsten der gesamten Eismeerflotte.«
    »Erzähl!« forderte sie ihn mit plötzlichem Interesse auf.
    Er zeigte auf die verschiedenen Raketenbatterien, erklärte, was Luftabwehr und was die moderne Form von Artillerie war, zeigte ihr See-See-Raketen, mit denen man andere Schiffe versenken konnte. Allein die »Kalinin« hätte beispielsweise die japanische Flotte vernichten können, die 1941 Pearl Harbor überfiel. Und vermutlich die amerikanische Flotte gleich dazu.
    Sie passierten eine Reihe von U-Boot-Rümpfen, und dann tauchten plötzlich einige U-Boote auf, die vollkommen seetauglich wirkten. Er beschrieb Typ und Funktion und nickte stumm auf ihre Frage, ob sie mit Kernwaffen bestückt seien.
    »Hat diese ›Kalinin‹ auch Kernwaffen an Bord«, fragte sie.
    »Ja, soviel ich weiß, sind die Vorrichtungen für strategische Waffen irgendwo in der Mitte des Schiffs versteckt. In ähnlichen Silos wie bei den strategischen U-Booten. Aber das hier sind Jagd-U-Boote, die andere Schiffe versenken oder mit Kernwaffentorpedos eine ganze feindliche Flotte versenken sollen.«
    Sie ließ einen entzückten Ausruf hören und zeigte eifrig auf eins der U-Boote. Es hatte eine Art Gestell auf der Oberseite, in dem ein rot-weiß gestreiftes Mini-U-Boot lag. Offenbar hatte das Gestell Platz für zwei davon.
    »Sind das solche Dinger, die wir zu Hause in den Schären gehabt haben?« fragte sie.
    »Ich weiß nicht«, sagte er und starrte intensiv hin, während er sich ermahnen mußte, nicht zu fotografieren. Alle anderen Touristen fotografierten wie wild alles, was sie sahen, doch er hatte sich entschlossen, sich nicht die kleinste Gesetzesübertretung zuschulden kommen zu lassen.
    »Du weißt es nicht!« lachte sie. »Wie kommt das denn?«
    »Kein Schwede hat so ein Ding je gesehen«, erwiderte er säuerlich. »Außerdem fehlen ihm Raupenketten. Es sieht eher wie ein Bergungs oder Arbeits-U-Boot aus und nicht wie eins für den militärischen Einsatz, aber genau weiß ich es eben nicht.«
    »Ich dachte, Murmansk wäre viel größer und irgendwie viel schöner. Wurde diese Stadt auch im Krieg zerstört?«
    »Das hier ist nicht Murmansk, sondern Seweromorsk, eine Marinebasis, die rund zehn Kilometer vor Murmansk liegt. Doch, es wurde heftig bombardiert, aber die Stadt hat trotzdem während des ganzen Krieges weitergearbeitet. Die Deutschen wurden ein paar Kilometer weiter westlich gestoppt, im sogenannten Tal des Todes. Weiter sind sie nie gekommen. Die Deutschen griffen übrigens von Kirkenes aus an. Das war ihre Basis, die ja auch zerstört wurde.«
    Allmählich begann sich das eigentliche Murmansk zu zeigen. Es wirkte modern wie ein schwedischer Vorort aus den fünfziger Jahren. Unendliche Reihen von Hochhäusern, die an den Felshängen des Fjords standen, als gäbe es hier nur Wohnungen. Es machte einen sehr eigentümlichen Eindruck. Wohnungen und immer wieder Wohnungen, doch nur wenige Gebäude, die wie Industriebetriebe aussahen. Er wußte keine sichere Antwort auf ihre Frage, wo die Leute arbeiteten, da hier offenbar Hunderttausende wohnten. Er vermutete eine große Anzahl von Angestellten bei der Handelsmarine sowie eine große Zahl von Militärs mit Arbeitsplätzen außerhalb der Stadt, ein paar Dutzend Kilometer außerhalb.
    Am Ende des Fjords lag der zivile Hafen, der erstaunlich klein aussah. Sie legten an einem kleineren Bootssteg an, etwa wie ein Schärendampfer, der Inseln im offenen Meer anläuft. Doch gleich daneben lag ein Eisbrecher mit dem Symbol für Atomkraft am Schornstein. Es war ein verblüffender Anblick, ein atomgetriebenes Schiff mitten im Hafen unter Küstenmotorschiffen und Lastkähnen und kleinen Fähren, die Leute quer über den Fjord transportierten, entweder nach Hause oder zu Arbeitsplätzen auf der anderen Seite.
    Es dauerte eine halbe Stunde, die

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