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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Waren, die man selbst für sechs Rubel nicht kaufen darf, gehören unter anderem Fischkonserven.«
    »Ja?« sagte Anna mit fragender Miene.
    »Verstehst du, sechs Rubel, daß sind etwa zehn amerikanische Cent, ein Dirne oder eine norwegische Krone und fünfundzwanzig Öre. Für einen Dirne kriegt man bestimmt nicht viel Fischkonserven, also russischen Kaviar.«
    »Dann werden wir wohl in einem Devisenladen einkaufen müssen«, stellte sie uninteressiert fest.
    Er verstummte, weil er ein schlechtes Gewissen hatte. Im Grunde benutzte er sie als eine Art Cover. Allein wäre er nicht gefahren, um als »Tourist« herumzuschnüffeln. Doch jetzt als Paar mit frisch eingekauften norwegischen Pullovern beurteilte er es als risikolos.
    Als er sah, daß einige Mitreisende ihre Ferngläser in die Hand nahmen und die Küste betrachteten, tat er es auch.
    Der Küste waren kaum Schären vorgelagert, nur ein paar vereinzelte Inseln. Die Felsen der recht gleichmäßigen Küstenlinie waren weich gerundet. Spärliche Vegetation, die kaum höher war als einen halben Meter. Von Zeit zu Zeit passierten sie deutlich sichtbare Küstenbatterien, die nicht mal verdeckt waren. An einer Stelle zählte er mindestens sieben Batterien mit SAM-6-Raketen, die an mehrere voneinander unabhängige Radarsysteme gekoppelt waren. Einige andere sahen aus wie SSM-Raketen, vermutlich spätere Versionen der STYX; Dunkelheit oder Tageslicht würde hier keine Rolle spielen. In diesem Gebiet wäre es völlig unmöglich, ungesehen an Land zu kommen, ob unter oder über Wasser.
    In regelmäßigen Abständen lagen kleine Korvetten. Sie fuhren in nächster Nähe an einem der Schiffe vorbei, so daß er die Matrosen betrachten konnte. Ihre Uniformen wirkten ungepflegt. Einer hatte nur ein Unterhemd an und kippte gerade einen Eimer mit Abfällen über Bord, auf die ein Seemöwenschwarm sich laut schreiend stürzte. Die Korvetten waren natürlich nicht dazu da, die Oberfläche zu überwachen. Das konnten die Radarsysteme an Land tun. Diese Schiffe lagen jahraus, jahrein hier draußen und warteten auf U-Boote. Vermutlich waren die Gewässer überdies mit Magnetschleifen und Sonarsystemen gespickt.
    Er warf Anna einen Seitenblick zu. Sie las in einem Buch, das er für eine alternative feministische Literaturgeschichte hielt. Er sah auf die Uhr, versuchte die Geschwindigkeit zu errechnen und blickte auf die Karte. Ja, hier ungefähr mußte es sein, hinter einer recht großen Insel, die fast mit der Küste zu verschmelzen schien.
    Hinter der Insel lag die Einfahrt zum Litsafjord, der vielleicht größten einzelnen Konzentration von Kernwaffen in der Welt, Heimatbasis der monströsen Taifun-U-Boote, von denen jedes vierundzwanzig Luken auf dem Vorderdeck hatte. Wiederum zwanzig davon enthielten eine russische Entsprechung der amerikanischen Poseidon. Jede Rakete war mit einem System von Mehrfachsprengköpfen ausgerüstet, die sechs oder vielleicht noch mehr voneinander unabhängige Kernwaffen zu individuellen Zielen schicken konnten. Sechs mal zwanzig, das bedeutete hundertzwanzig Mal New York, London oder Paris.
    Er unterdrückte einen Impuls, sie zu fragen, ob sie »Jagd auf den Roten Oktober« gesehen habe, und darauf hinzuweisen, daß dieses Schiff hier zu Hause war. Jede Erinnerung an Krieg oder militärische Dinge wäre jetzt ein kristallklarer Fehler.
    Sie las. Er betrachtete die Küste und prägte sich Einzelheiten ein. Das Wetter war grau und eintönig, und aus den Lautsprechern des Schiffs dröhnte unaufhörlich norwegische Popmusik. Es war also kein munterer Beginn der Reise.
    Doch als sie eine Zeitlang auf südlichem Kurs gefahren waren, begann sich die Wolkendecke zu lichten, und sie sahen auf beiden Seiten Land und zunehmend dichtere Bebauung. Einige Passagiere gingen mit Kameras und Ferngläsern aufs Oberdeck.
    Anna klappte plötzlich entschlossen ihr Buch zu und fragte, ob sie nicht auch an Deck gehen und gucken sollten.
    Sie standen ein wenig abseits und stützten die Ellbogen auf die Reling, als sie sich einer Stadt näherten. Lange Reihen von Kriegsschiffen und Wracks tauchten auf. Hier und da ragten Schornsteine aus dem Wasser, hier mal ein Bug, dort ein verrostetes Heck, und einige Wracks waren ganz an Land gezogen.
    »Das muß doch Eisenschrott für aber und aber Millionen sein«, sagte sie neugierig, »stammt das alles noch aus dem Krieg?«
    »Nein«, erwiderte er verwirrt und runzelte die Stirn. »Ein Teil sicher, aber die meisten Schiffe sehen

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