Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
amerikanischer Whiskey, französisches Parfüm, Transistorradios aus Japan und ähnliche Dinge verkauft. Mit Hilfe des norwegischen Paares fanden sie schließlich einige schöne Lackmalereien, Miniaturen auf den Deckeln von Schachteln und kleinen Schalen, die sich in einem neuen Heim gut machen konnten, vor allem unter den russischen Handarbeiten. Anna fand außerdem einen großen schwarzen Schal mit grünen und roten Rosen.
    Als sie kurze Zeit später wieder in den Bussen saßen, um eine Besichtigungsfahrt durch die Stadt und in die Umgebung zu machen, kühlte Anna plötzlich erneut ab, da alle Mitreisenden im Bus weder auf die Aussicht achteten noch auf die Worte der Reiseführerin hörten, alle – bis auf einen. Åke Stålhandske erweckte den Eindruck, als dächte er wie ein Computer, als prägte er sich jede Einzelheit ein.
    Als der Bus hoch oben über der Stadt an einem gigantischen Siegesmonument in karikaturhaft wirkendem russischen Stil hielt – Soldat mit Stahlhelm, der in die Ferne blickte, Waffe in der Hand und schwerer Waffenrock, fast zwanzig Meter hoch; hier und da ragten Eisenstäbe aus der brüchigen Betonfläche hervor –, ging sie zu ihm, drückte sich an ihn und flüsterte, er solle sich lieber mehr ihr widmen und weniger dem Spionieren. Er lachte, sogar recht herzlich, und erklärte, er spioniere ganz und gar nicht, sondern sei nur neugierig. Vielleicht liege es an seiner Berufsroutine, daß er ein wenig reflexhaft reagiere. Er küßte sie. Für einen Mann wie ihn war es ein recht unschüchterner Kuß. Er beschloß, nicht mehr zu »spionieren« und sich an dem allgemeinen Touristengerede von den armen Russen zu beteiligen.
    Bei den sonstigen Gesprächen im Bus ging es vor allem um die Dorschfischerei, so daß seine und Annas Beiträge zu der immer heftigeren Diskussion recht mager waren. Es ging darum, daß die Russen im Eismeer zuviel Dorsch wegfischten, zumindest zuviel im Vergleich mit Norwegen.
    Sie empfanden leichtes Unbehagen, als sie die aufmerksamen Augen des KGB passieren sollten, doch keiner der Touristen wurde durchsucht.
    »Wie schade, daß wir keinen schwarzen Kaviar gekauft haben«, flüsterte Anna.
    »Ach was!« sagte Åke Stålhandske schroff. »Das ist so ein Weiberessen, das man in Stockholmer Luxusschuppen ißt. Heute abend gibt es zu Hause in Kirkenes nordischen Maränenkaviar.«
    »Was meinst du mit Weiberessen?« fragte Anna, die sich sichtlich provoziert fühlte.
    »Ich habe damit nichts Besonderes gemeint, ich wollte nur mal sehen, ob du noch wach bist«, erklärte er und verzog dabei keine Miene.
    Sie warf ihm einen langen, forschenden Blick zu. Er hielt jedoch stand und zeigte nicht den Anflug eines Lächelns.
    Es war dunkel, und die Rückreise wurde zunächst recht lebhaft, da einige der eingekauften Westwaren an Ort und Stelle konsumiert wurden, doch nach und nach versanken die meisten Passagiere in Müdigkeit, die Gespräche erstarben, und schließlich war nur noch die norwegische Popmusik zu hören.
    Anna hatte Åke Stålhandske den Kopf an die Schulter gelegt und schlief, aber er war wach. Immer wieder ging er seine Beobachtungen durch und formulierte seinen Bericht schon vor, so daß er am nächsten Morgen alles niederschreiben konnte. Er wollte aufstehen, bevor sie aufwachte, und es so diskret wie möglich tun.
    Draußen auf dem Meer passierten einige Laternen von einem der Küstenwachboote des KGB. Das war das letzte, was er für die nächsten zwei Monate von russischem Territorium sah. Er spürte, daß er wiederkommen würde, wenn auch unter vollkommen anderen Voraussetzungen. Er legte behutsam den Arm um Anna und überlegte, ob es richtig war zu heiraten, bevor er von der nächsten Reise zurückkam. Er wußte nicht, weshalb er so überzeugt war, daß er wieder nach Rußland mußte, doch es war so etwas wie eine vollkommene innere Gewißheit, als wäre der Befehl schon erteilt worden.
    Wenn sie nicht vorher heirateten, versuchte er kalt zu argumentieren, würde sie natürlich alle Versuche durchschauen, die Gefahren des Auftrags zu bagatellisieren. Sie sollten also heiraten, als gäbe es keine Gefahr.
    Aber. Es gab ein großes Aber. Carl hatte natürlich mit keinem Wort die Wahrscheinlichkeit von Verlusten bei einem eventuellen Auftrag erwähnt, was im übrigen auch gar nicht seiner Art entsprochen hätte. Aber jeder konnte sich ausrechnen, daß die Risiken enorm waren. Außerdem ging es bei dem Unternehmen um alle oder keinen. Entweder würden alle

Weitere Kostenlose Bücher