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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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den Fahrer, der sich ganz ungezwungen die Freiheit nahm, den Wagen mit Tabakqualm zu erfüllen. Carl kurbelte die Seitenscheibe herunter und nickte seinem Begleiter aufmunternd zu. Es spielte keine Rolle, ob russischer Tabak oder russische Umweltzerstörung, beides führte doch zu roten Augen.
    Die Fahrt ging in die Richtung, die er erwartet hatte, zur Stadtmitte. Doch noch in der Nähe des Hotels bog der Fahrer plötzlich in eine schlammige Nebenstraße ab, in der offenbar umfangreiche Bauarbeiten begonnen hatten. Der Wagen bewegte sich vorsichtig zwischen Haufen von Baumaterial hindurch und rollte langsam über provisorisch ausgelegte Bretter, welche die Abflußgräben bedeckten, die gerade aufgegraben wurden.
    Es hatte mal eine Zeit in Carls Leben gegeben, in der ihn ein solcher unerwarteter Umweg in Dunkelheit und unbekannte Stadtviertel hellwach gemacht hätte. Doch jetzt kam es ihm vor, als spielte es keine große Rolle, wenn der Wagen plötzlich irgendwo anhielt und eine Bande maskierter Männer auf ihn zustürzte.
    »Schlechte Straßen in Moskau«, sagte sein Begleiter in einem Englisch, das sich russisch und amerikanisch zugleich anhörte.
    »Ja«, sagte Carl, »hast du mal in Amerika gewohnt?«
    »Ja, drei Jahre, UNO, New York«, erwiderte der Russe fröhlich.
    »KGB oder GRU?« fragte Carl ungezwungen.
    Der andere antwortete zunächst nicht, sondern lachte nur verlegen. Doch dann antwortete er:
    »Ich war bei der Handelsvertretung, in der technischen Abteilung.«
    »Aha«, sagte Carl, »also GRU. Und ist es gutgegangen? Man hat dich nie geschnappt?«
    »Nein«, lächelte der andere, »man hat mich nie geschnappt. Und du?«
    »Es kommt darauf an, wie man es betrachtet«, erwiderte Carl düster. »In meinem eigentlichen Job bin ich nie erwischt worden, aber unsere freie Presse und unsere Politiker haben mich immer wieder ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gezerrt, könnte man sagen. Ich bin also neuerdings zum Bürokraten geworden.«
    »Ja, mit dieser freien Presse kann es ganz schön schwierig werden«, seufzte der Russe. »Sie macht uns hier auch allmählich zu schaffen. Die Burschen schreiben so manches über uns, und ein Teil entspricht nicht mal der Wahrheit. Merkwürdige Manieren.«
    »Willkommen in der Demokratie«, lachte Carl, dessen Laune sich plötzlich besserte.
    Der Wagen hatte das Gewirr von Baugerüsten und provisorischen Fahrbahnen jetzt hinter sich und fuhr mit höherer Geschwindigkeit den Prospekt Mir entlang. Carl streckte sich voller Wohlbehagen und kurbelte die Seitenscheibe zu, da die Luft draußen unangenehm feucht und kalt und der Tabakrauch verschwunden war. Er stellte fest, daß er sich auf nichts vorzubereiten und sich nichts auszudenken brauchte. Es würde sich alles von selbst ergeben.
    Der Wagen fuhr mit hoher Geschwindigkeit um den Dserschinskij-Platz herum, und Carl warf einen amüsierten Seitenblick auf das alte Hauptgebäude des KGB; wie gewohnt waren dort oben manche Fenster erleuchtet. Die Lampe des Fleißes würde nie ausgehen, zumindest nicht an solchen Orten. Die Statue von Felix Dserschinskij mitten auf dem Platz war verschwunden. Auf dem leeren, mit Graffiti vollgekritzelten Sockel wehte eine schmutzige russische Trikolore im Smog.
    »Der alte eiserne Felix hat seine letzte Ruhe gefunden«, sagte Carl und zeigte aus dem Fenster.
    »Ja«, seufzte sein russischer Kollege. »Merkwürdig, wenn man bedenkt, daß er den größeren Teil seines Lebens in zaristischen Gefängnissen verbracht hat.«
    Carl verzichtete auf mehrere denkbare Kommentare. Der Wagen fuhr um den ganzen Platz herum und dann auf die Rückseite des großen grauen Granitgebäudes, das schräg daneben lag, hinter dem Warenhaus ›Die Welt der Kinder‹. Sie hielten vor einem sehr kleinen Eingang, der kaum beleuchtet war, und stiegen aus. Der Fahrer bekam die Anweisung zu warten, was keinerlei Aufschluß darüber gab, wie lange Carl sich in dem Gebäude aufhalten würde, das im Jargon der Moskauer das »Haus des Schreckens« hieß; russische Chauffeure konnten ewig warten, wenn es sein mußte.
    Carls russischer Begleiter führte ihn durch die Tür und zeigte seinen Ausweis. Die jungen Wachposten verlangten jedoch auch Carls Ausweis zu sehen. Geduldig und freundlich half er ihnen, die lateinischen Buchstaben in dem blauen schwedischen Diplomatenpaß zu deuten, während er ihre Uniformen musterte. Gewöhnliche braune Alltagsuniformen der Sowjetarmee mit dunkelblauem Rand an den Uniformmützen und dunkelblauen

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