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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Vatersnamen anzureden, möchte ich auch nicht mehr hören. Das ist so förmlich. Sag einfach nur Nikita zu mir.«
    »Okay«, sagte Carl, »ich selbst heiße Carl. Wollen wir mit etwas Champagner anfangen. Ich meine, mit französischem Champagner?«
    »Lieber mit russischem«, konterte Nikita schnell. »Wir sollten immerhin nicht vergessen, daß dies, wie du gesagt hast, Lenins alter Lieblingsschuppen ist.«
    »Aber gern«, sagte Carl und rief den Kellner zurück, der schon seine Bestellung erhalten hatte und die Berichtigung jetzt erstaunt und enttäuscht entgegennahm. »Natürlich, laß uns damit anfangen, daß wir auf Lenin trinken. Nein, ich scherze nicht .«
    Nikita Sergejewitsch trank wie erwartet nur äußerst mäßig von dem russischen Schaumwein und wurde erst etwas lockerer, als der erste halbe Liter Wodka auf dem Tisch stand. Nach und nach stieg die Stimmung, als immer mehr Kaviar, noch mehr Wodka, geräucherter Stör, Eismeerlachs, Salzgurke, Schmand, Schwarzbrot und weiterer Kaviar verspeist wurden.
    »Ich habe gesehen, daß der alte Karl Marx immer noch dasitzt. Ein Glück, daß die Hooligans wenigstens da ein bißchen Rücksicht gezeigt haben«, meinte Carl nebenbei, als die Vorspeisen hinausgetragen wurden und er die Weinkarte studierte. Nikita machte nicht den Eindruck, als ob er verstanden hätte, und antwortete nicht.
    »Außerordentliche Weinkarte, wirklich hervorragend, aber etwas seltsame Preise«, murmelte Carl, der sich anscheinend in die französischen Weine vertieft hatte. »Ich nehme an, du trinkst Rotwein nur dann, wenn du unbedingt mußt?«
    »Richtig, davon kriege ich schreckliche Kopfschmerzen. Ich halte mich lieber an den Wodka«, brummte Nikita mit einem Seufzer. »Aber was hast du mit dieser Bemerkung über Karl Marx gemeint?«
    »Daß er immer noch dasitzt, meinst du?«
    »Genau. Inwiefern denn, wenn ich fragen darf?«
    Carl wurde von dem französischen Sommelier unterbrochen und bestellte für sich eine Flasche Lafite-Rothschild, Mitte der fünfziger Jahre, und einen weiteren halben Liter Wodka sowie Mineralwasser für seinen Gast.
    »Nun, ich habe das ganz buchstäblich gemeint«, lächelte er, als er mit der Bestellung fertig war. »Hier draußen vor dem Hotel.«
    Nikita Duchanins Gesicht hellte sich auf. Auf dem Platz vor dem Bolschoj-Theater, schräg gegenüber dem Hotel Metropol, stand tatsächlich ein riesiges Standbild von Karl Marx, das aus einem einzigen Granitblock herausgehauen war.
    »Er war einfach zu schwer«, kicherte Nikita Duchanin. »Du darfst nicht glauben, die Hooligans hätten es nicht versucht, aber sie bekamen ihn einfach nicht weg. Aber weißt du, womit diese Lümmel ihn bemalt haben? Wie? Ja, stell dir vor:
    › Proletarier aller Länder – vergebt mir ‹. Wie findest du das denn?«
    Nikita Duchanin ließ ein lärmendes Lachen hören. Das war das erste Mal, daß Carl eine Freudenbekundung von ihm vernahm. Carl ließ sich von dem Lachen anstecken, und plötzlich lachten alle beide so, daß sich ihre roten Augen mit Tränen füllten.
    Der Wein kam. Carl probierte und bestand darauf, daß auch sein Gast etwas davon trank, der guten Form halber. Nikita Duchanin ließ sich mißtrauisch ein halbes Wodkaglas mit Rotwein vollschenken, und dann hob Carl sein Glas.
    »Auf Karl Marx!« sagte er und versuchte ernst zu bleiben. Doch dann fiel beiden gleichzeitig wieder ein, daß die Proletarier vergeben sollten, worauf beide erneut loslachten, so daß sie alle Mühe hatten, sich beim Trinken nicht zu verschlucken.
    Das Fleisch mußte aus Europa importiert worden sein. Es war viel zu sehr von Fettadern durchzogen, um russisch zu sein; die französischen Gastköche hätten sich außerdem kaum mit russischem Fleisch zufriedengegeben.
    Sie aßen eine Zeitlang schweigend, Carl mit gutem Appetit und Nikita Duchanin eher abwartend. Wahrscheinlich war das rosafarbene Entrecôte für seinen Geschmack viel zu roh.
    »Wenn du nichts dagegen hast, daß wir über unseren Job sprechen…«, begann Carl nachdenklich, als er sah, daß sein Gast das Essen nicht mehr anrührte. Er selbst schob seinen Teller beiseite. Damit wollte er andeuten, daß sie sich jetzt dem Trinken zuwenden konnten. »Wie gesagt… Wenn du nichts dagegen hast, daß wir über unseren Job reden… Prosit. Übrigens habe ich den Eindruck, als würden wir raswedtschiks es jetzt in Rußland bedeutend leichter haben als ihr kontraraswedtschiks, oder was meinst du?«
    Die Beobachtung war kaum sensationell, vor allem

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