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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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sich an die Geschichte. Gorbatschow wohnte, anders als seine Vorgänger im Amt, in einer normalen Mietwohnung.
    Vor der Haustür waren keine Wachposten zu sehen. Zwischen Bürgersteig und Haus lag eine kleine Rasenfläche mit einem niedrigen Zaun an der Straße. Dafür standen im Hausflur zwei Posten. Hinter ihnen entdeckte Carl eine Gittertür aus schönem Schmiedeeisen, die sich elektrisch öffnete, nachdem sie nach der üblichen Identitätskontrolle auf je einen Knopf gedrückt hatten.
    Gorbatschow wohnte offenbar im vierten Stock. An der Tür befand sich kein Namensschild. Sie wurden von zwei zivilen Wachposten eingelassen, die sie in einen Nebenraum führten und Nikita Duchanin freundlich, aber bestimmt baten, sich zu setzen und zu warten. Sie untersuchten Carl mit einem Metalldetektor, wenn auch mehr der Form halber. Dann baten sie ihn, zu folgen. Sie durchquerten einen Korridor mit dunkler Beleuchtung, der vor einer geschlossenen Tür endete.
    Das Ganze sah aus wie ein älterer Anrichteflur. In den hohen Wandschränken waren offenbar Tischwäsche und Porzellan untergebracht. An der Decke blätterte die Farbe ab.
    Sie blieben an der Tür stehen. Einer der zivilen Posten nahm fast so etwas wie Haltung an, klopfte laut und vernehmlich und trat ein, während Carl und der zweite Mann draußen warten mußten. Nach einigen Augenblicken kam der Mann zurück, schob Carl freundlich hinein und schloß die Tür hinter ihm.
    Der Raum war größer, als er erwartet hatte, etwa zehn mal zehn Meter, und wie ein französischer Salon des neunzehnten Jahrhunderts in einem Stil eingerichtet, der an Empire erinnerte, in Gold, Hellblau, Weiß und Rot.
    Der Präsident der Sowjetunion stand neben der Sitzgruppe. Er trug einen englischen Pullover mit V-Ausschnitt über der Krawatte und Hausschuhe. Schräg hinter ihm stand ein Mann, offenbar der Dolmetscher.
    Carl überkam kurz ein Schwindelgefühl angesichts der unbestreitbaren Wirklichkeit, die ihn kaum überzeugen konnte, ob es nun an den Hausschuhen lag oder an der Tatsache, daß da einfach das Original des Bildes von Gorbatschow mit dem Feuermal auf der Stirn und dem freundlichen, neugierigen Blick vor ihm stand. Vor allem aber waren es diese Hausschuhe, schwarze Lackschuhe, vermutlich irgendein Kunststoff.
    Carl mußte etwas tun, er durfte nicht einfach nur dastehen und gaffen. Er streckte sich und verbeugte sich sehr tief.
    »Herr Präsident«, murmelte er, unschlüssig, was er noch sagen sollte und in welcher Sprache.
    Gorbatschow nickte amüsiert, als hätte er Carls Unsicherheit bemerkt und sehr gut verstanden. Er trat ein paar Schritte vor und reichte ihm die Hand. Als Carl sie nahm und sich erneut verneigte, nahm der sowjetische Präsident Carls Hände fest in seine und schüttelte sie ein paarmal entschlossen. Dann machte er eine ausholende Handbewegung zur Sitzgruppe hin und gab seinem Dolmetscher ein Zeichen, auch er solle Carl begrüßen.
    Es kam zu einer kurzen Pause, als die drei Männer sich auf den altmodisch eleganten, aber unbequemen Stühlen zurechtsetzten.
    Dann begann Gorbatschow geschäftsmäßig mit einer Begrüßungssuada, die er sichtlich abkürzte. Mit Hilfe des Dolmetschers antwortete Carl unter anderem, in Schweden freue man sich besonders zu sehen, daß Gorbatschow wieder legal in seine Position eingesetzt sei und bei guter Gesundheit zu sein scheine.
    Als diese Zeremonie erledigt war, kam der sowjetische Präsident sofort zur Sache. Carl verstand die Frage schon auf russisch, wartete aber, aus Erfahrung klug geworden, auf die Übersetzung, um mehr Zeit zu haben, seine Antwort zu formulieren.
    »Sie haben mich in einer Angelegenheit aufgesucht, Herr Kapitän, die, wie Sie sagen, sowohl die Sowjetunion als auch unsere beiden nordischen Nachbarländer Finnland und Schweden betrifft. Sie haben ferner gesagt, es gehe um eine Angelegenheit, über die der finnische Präsident informiert sei. Ist das korrekt?« lautete die Frage.
    »Ja, Herr Präsident, das ist korrekt«, erwiderte Carl. Gorbatschow schloß sofort eine neue Frage an.
    »Was ist der Grund für dieses außerordentlich ungewöhnliche Verfahren, um ein Gespräch nachzusuchen, so vollkommen außerhalb unserer normalen Kanäle? Darf ich auch fragen, was für eine Funktion Sie in Ihrem Heimatland haben und in wessen Auftrag Sie hier sind?«
    Carl beantwortete die Fragen in umgekehrter Reihenfolge.
    »Ich bin im Auftrag des Ministerpräsidenten meines Landes hier, da ich in seinem Stab Militärberater

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