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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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nicht im Hinblick auf die in pädagogischer Hinsicht überdeutlichen Erlebnisse des Tages in dem früher so legendär gefürchteten KGB-Gebäude. Carl konnte jedoch nicht beurteilen, wie taktlos es war, das Thema zur Sprache zu bringen.
    »Korrekt«, erwiderte Nikita Duchanin nach einiger Bedenkzeit. Dann spülte er sich mit einem reellen Schnaps die ekelhaften französischen Dünste aus dem Mund, bevor er fortfuhr.
    »Jeder x-beliebige kann feststellen, daß deine Beurteilung korrekt sein muß. Wird euch das in Versuchung führen, ich meine, werdet ihr eure Spionage hier verstärken?«
    Die Frage hörte sich vielleicht unschuldiger und berufsmäßiger an, als sie war. Aber Carl hatte selbst das Thema zur Sprache gebracht, und jetzt hieß es einfach nur weitermachen.
    »Nun ja«, sagte er, »es dürfte nicht nur eine Frage von Versuchung sein, uns bestimmte Dinge zu kaufen. Das große Problem besteht ja in folgendem: Kein Mensch weiß, was hier eigentlich vorgeht. Damit werden unsere Regierungen im Westen von ihren raswedkas verlangen, mehr herauszufinden.«
    »Du meinst eine intensivierte politische Spionage«, stellte Nikita Duchanin mit ernstem Kopfnicken fest. »In dem Fall macht es nicht viel. Es ist vielleicht nur gut.«
    »Gut, daß wir im Westen darüber Bescheid wissen, was ihr hier eigentlich treibt?«
    »Richtig.«
    »Ja, damit hast du zweifellos recht. Das läuft auf die alte Erkenntnis hinaus, daß Leute wie du und ich dazu da sind, für mehr Stabilität und Vertrauen in der Welt zu sorgen.«
    »Richtig. Aber wir haben im Augenblick sehr viel größere Probleme als eure Unterwanderung, ich meine auf der Kontra-Seite.«
    Nikita Duchanin sah aus, als unterbräche er einen Gedankengang. Carl mußte wählen, ob er höflich das Thema wechseln oder ganz einfach einen Schritt weiter gehen sollte. Er wählte die zweite Möglichkeit. Mehr als ein Nein konnte er sich nicht einhandeln.
    »Worin bestehen denn eure größten Probleme? Was meinst du?« fuhr er in ruhigem Tonfall fort.
    »Nun…« begann Nikita Duchanin etwas zögernd, bis er sich aufzuraffen schien, alle Rücksichten über Bord zu werfen.
    »Unser größtes Problem sind wie gesagt nicht Leute wie du, sondern einheimische Gangster, unsere Mafia, Korruption, Drogenhandel und vor allem Waffenhandel. Was den Waffenhandel betrifft, hat er einige schauerlich ernste Aspekte, über die ihr im Westen doch wohl auch schon ein wenig nachgedacht habt, nicht wahr?«
    Carl spürte, daß das Gespräch jetzt gefährlich wurde.
    »Doch, darüber haben wir schon nachgedacht«, erwiderte er vorsichtig. »Wir sind dabei aber auch davon ausgegangen, daß die Waffen, auf die du anspielst, idiotensicher bewacht sein müssen.«
    »In einem Land, in dem unsere Generäle für tausend Dollar ganz offen Verrat begehen wollen?« entgegnete Nikita Duchanin traurig.
    Carl wollte das Thema vermeiden, ohne das es auffiel. Als Gesprächsgegenstand war es für eine Analyse zweier Spionage-Obersten natürlich nicht gerade uninteressant. Während er überlegte, wie er die Situation retten sollte, entdeckte er, wie der Fahrer ihres Dienstwagens unten zwischen zwei mit Goldornamenten geschmückten Marmorsäulen stand und offenbar versuchte, an einem ihn mit der Körpersprache abweisenden Kellner vorbeizukommen.
    Carl stand halb auf und winkte mit der Serviette, worauf der Fahrer widerwillig an ihren Tisch gelassen wurde. Er beugte sich unangenehm berührt hinunter und flüsterte Nikita Duchanin etwas ins Ohr. Dieser erstarrte bei der Mitteilung sichtlich.
    »Sie haben das Autotelefon angerufen. Wir müssen gehen, sofort«, sagte er nervös und machte Anstalten, sich zu erheben. Carl wies darauf hin, daß sie vorher vielleicht erst bezahlen sollten, winkte einen Kellner heran und bat um einen Stuhl für den Fahrer. Seinem Wunsch wurde nur äußerst widerwillig entsprochen.
    »Russen sind hier nicht gern gesehen«, erklärte der Fahrer entschuldigend.
    Fünf Minuten später saßen sie im Wagen, fuhren jedoch in eine ganz andere Richtung, als Carl erwartet hatte. Er kurbelte die Seitenscheibe ein wenig herunter, um den scharfen russischen Tabakgeruch auszulüften, und atmete ein paarmal tief durch, als wollte er nach Wodka und Rotwein wieder einen klaren Kopf bekommen. Gerade jetzt durfte er nicht im mindesten angetrunken erscheinen.
    Der Wagen hielt nach nur zehn Minuten Fahrt vor einem großen Mietshauskomplex an einer der Hauptstraßen. Carl begriff den Zusammenhang. Jetzt erinnerte er

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