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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Zeit ein und widmete der einfachen Tatsache, daß er den dunklen Anzug mit den weißen Rändern mehr als einen Monat lang nicht tragen würde, einen fast traurigen Gedanken; außerdem wollte er nach seiner Rückkehr ein paar anständige Schuhe kaufen.
    »Was wollt ihr haben?« rief er plötzlich aus und winkte noch weitere Leute an den Tisch. »Sagt es nur! Geräucherten Stör, gekochte Zunge, Salzgurke und Schmand, Radieschen, schwarzen und roten Kaviar. Sagt es nur, denn ich lade euch alle ein. Lang lebe die Perestrojka!«

7
    Carl schoß zum ersten Mal nach langer Zeit. Die Renovierung des neuen Hauses war jetzt schon so weit fortgeschritten, daß der Keller fertig war, in dem er einen Schießstand mit bis zu zwanzig Meter Abstand eingerichtet hatte. Er schoß auf ein stillstehendes Ziel, eine Zielscheibe mit Ringen, und zwar aus fünfzehn Meter Abstand. Er verwendete eine kleinkalibrige Pistole, damit das Geräusch oben im Haus nicht zu hören war. Tessie versuchte zwar ihre Unlust vor allem, was mit Waffen zu tun hatte, zu verbergen, doch nur mit mäßigem Erfolg.
    Carl schoß fast merkwürdig viel unter seinem Standard und kam auf die Idee, daß in ihm etwas geschehen war, etwas, was mit Konzentration zu tun hatte.
    Früher war alles andere in der Welt in dem Augenblick verschwunden, in dem er eine Waffe in die Hand nahm und sie auf ein Ziel richtete. Da hatte es nichts anderes mehr gegeben als die Linie zwischen Kimme und Korn und das verschwommene Ziel dort hinten, nichts sonst. Strenggenommen war dies eine der guten Seiten der Schießübungen gewesen, daß es ihm gelungen war, alle Gedanken auszulöschen.
    Doch jetzt dachte er zuviel. Er konnte sich nicht konzentrieren. Es war eine sowohl bittere als auch komische Erfahrung, Eva-Britt zu erklären, daß es noch unsicher sei, ob er sich über Weihnachten um Johanna Louise kümmern könne. Er hatte sich sofort aufs falsche Gleis begeben, als er sagte, es sei unsicher. Alles andere, »Hochzeitsreise ohne störendes Kind« oder sonst eine grausame Lüge, wäre besser gewesen. Aber damit, daß er ihr sagte, es sei unsicher , sagte er zugleich auch, daß etwas im Busch war. Etwas, was wieder einmal so groß und wichtig war und soviel für den »Weltfrieden« und all das bedeutete, daß unsicher für die, die ihm so nahe stand wie die Mutter seines Kindes, etwas ganz Spezifisches und den Tatsachen nicht allzu Fernes hieß. Die schwarzen, unmarkierten Flugzeuge standen wieder irgendwo startbereit, oder die U- Boote würden bald auslaufen. Es war mal wieder soweit.
    Er hatte nichts darauf erwidern können, als sie verstohlen darauf hinwies, er solle vielleicht mal an seine Verantwortung als Vater denken. Sie meinte damit, er habe nicht das gleiche moralische Recht wie früher, sein Leben aufs Spiel zu setzen, und damit hatte sie vielleicht recht. Und es war sinnlos, ihr einreden zu wollen, daß sie zwar grundsätzlich recht habe, aber gerade in diesem besonderen Fall gehe es um etwas so Wichtiges, daß alle privaten Grundsätze zurückstehen müßten und blablabla, all das, was er schon hundert Mal gesagt hatte.
    Er konzentrierte sich erneut und beschloß, drei Serien mit jeweils besseren Ergebnissen zu schießen. Er spürte jedoch sofort, daß schon der erste Schuß danebenging, und ballerte die restlichen Kugeln hinterher, um wieder anfangen zu können. Als er an die Tafel trat und das Ergebnis betrachtete, saß der vermutlich erste Schuß in dem weißen Teil der Zielscheibe, außerhalb des schwarzen Kreises in der Mitte. Fast zehn Zentimeter daneben.
    Er betrachtete erschrocken und erstaunt das unbestreitbare Einschußloch im weißen Feld der Scheibe und sah sich irritiert nach weißen Aufklebern um. Er hatte keine, hatte sie in den letzten zehn Jahren nicht verwendet. So klebte er die verstreuten Treffer im schwarzen Teil der Scheibe zu und ging entschlossen und aggressiv zum Ausgangspunkt zurück. Er lud zwei Magazine, schob das erste in den Pistolenkolben und stand eine Zeitlang mit gesenktem Kopf da und versuchte, sich in eine Art Trance zu versetzen. Er versenkte sich ins Unbewußte, als gäbe er die Kontrolle über sich auf und ließe den Autopiloten des Körpers bestimmen, wann und wie er schoß. Plötzlich hob er die Waffe und schoß die ganze Serie in aggressiver Entschlossenheit, sämtliche Schüsse hintereinander, ohne die Waffe einmal abzusetzen und in sehr schneller Folge.
    Schon auf dem Weg zur Zielscheibe wußte er, daß es geklappt hatte. Er hatte

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