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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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nämlich im Augenblick vor dem Feuern an nichts gedacht, an gar nichts.
    Die Serie war in einem Feld von Tennisballgröße versammelt. Als Wettbewerbsergebnis war es untauglich, aber als Schnellschußserie mehr als ausreichend. Etwas zufriedener ging er zurück, um nochmals anzufangen.
    Doch als er die Waffe hob, um sorgfältig zu schießen, entdeckte er, daß er mit den Gedanken schon wieder woanders war. Er mußte abbrechen. Er ließ die Waffe sinken und versuchte sich zu konzentrieren.
    Mit Tessie war es das gleiche gewesen. Er war nach Hause gekommen und hatte den Eindruck erweckt, so froh und erleichtert zu sein, wie man es sich nur wünschen konnte. Er hatte ein Kilo des teuersten Kaviars der Welt mitgebracht (der Preis auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo II war bedeutend höher als in der Markthalle von Östermalm) und versucht, in ihrer kleinen Wohnung am Värtavägen ein kleines Fest zu arrangieren.
    Und dann war bei der ersten Kaviarportion die Frage aufgetaucht, wie es zu Weihnachten werden solle, ob Kalifornien oder Schweden. Er hatte versucht, der Frage auszuweichen, hatte dem Wetter die Schuld gegeben und gemeint, sie müßten mit der Entscheidung warten, bis sie wüßten, ob es weiße Weihnachten geben werde, also schwedische Weihnachten, oder grüne und somit ein kalifornisches Weihnachtsfest. Da hatte sie das Thema fallen lassen, aber nur ungern.
    Er sah auf die Uhr. Die ersten Gäste würden bald kommen. Er probierte es mit einem neuen Trick. In zwei Minuten mußte die Aufgabe gelöst sein. Er hatte also Zeit, noch eine einzige Serie zu verpatzen, aber es war besser, die Aufgabe gleich zu lösen. Als er die Waffe hob, spürte er, daß es nicht gehen würde. Er sorgte sich wegen Tessie und Weihnachten und wegen Johanna Louise und Weihnachten.
    Er sah nochmals auf die Uhr. Jetzt hatte er von den selbst zugestandenen hundertzwanzig Sekunden schon fünfzehn verloren.
    Der Waffenschrank stand ein Stück von ihm entfernt. Er war erst vor kurzem in die Steinwand eingemauert worden und an den Rändern noch feucht. Die Tür war weit offen. Er zögerte, entschied sich aber schnell für eine Lösung, mit der es klappen mußte. Er trat vor den Waffenschrank, legte die kleinkalibrige Pistole zurück und nahm seine großkalibrige Beretta, deren Magazin er mit zehn Schuß lud.
    Jetzt würde es im ganzen Haus zu hören sein. Er würde anschließend schnell zu ihr hinaufgehen müssen.
    Zwei der drei Zielscheiben da vorn waren ungebraucht.
    Er schoß mit kalter Entschlossenheit auf jede der beiden Scheiben eine Serie ab. Dann riß er sich die Ohrenschützer vom Kopf, schloß die Waffe ein, verstellte das Kombinationsschloß und eilte die Treppe hinauf; er hatte das Ergebnis nicht kontrollieren müssen, da er wußte, daß er mit beiden Serien voll getroffen hatte.
    Tessie kam ihm schon an der Tür zu Kellertreppe entgegen. Ihre dunklen Augen verrieten ihre Besorgnis.
    »Ich habe nur den neuen Schießstand ausprobiert, nur ein paar Schuß«, versicherte er. »Was macht die Marinade?«
    Sie wollten frischen Lachs in Zitronensaft und Olivenöl marinieren, und er hatte Tessie vor einiger Zeit mit einer ungefähren Beschreibung dessen verlassen, wie es auf der Zunge schmeckte, wenn die Mischung richtig war.
    Sie schüttelte lächelnd den Kopf und sagte, sie wolle ihm etwas Lustiges zeigen, und holte einen weißen Umschlag im Querformat und hielt ihn hoch.
    »Hast du schon mal so was Albernes gesehen? Jemand scheint zu glauben, ich sei gesellschaftlich eins raufgerutscht«, sagte sie lachend.
    Er nahm ihr nachdenklich den Umschlag ab und befühlte ihn.
    Er war aus weißem, handgeschöpftem Bütten, und auf der Rückseite befand sich das große Reichswappen in Reliefdruck. Auf der Vorderseite hieß es etwas umständlich:
    Kapitän zur See Carl Graf Hamilton und Theresia Gräfin Hamilton.
    Er öffnete den Umschlag mit einer leicht irritierten Miene, da er den peinlichen Inhalt schon erahnte.
    »Wir sind zu einem Essen beim König und der Königin eingeladen«, sagte er mit einer Grimasse, als er den Text überflogen hatte. »Sie bitten um Antwort.«
    Er seufzte und sah aus, als hätte er den Brief am liebsten weggeworfen.
    »Sollen wir auf eine Party?« fragte sie gespannt. »Wow! Beim König und der Königin, das nenne ich aber heftig!«
    »Ja«, erwiderte er. Ihre Begeisterung verwirrte ihn ein wenig.
    »Ja, wir werden gehen. Da kann ich ganz einfach nicht absagen.«
    »Was soll das denn, absagen, bist du durchgedreht?

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