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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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essen müssen. Wie du selbst gesagt hast, wenn ihr wiederkommt, gibt es frisches Schweinefleisch.«
    »Wann bekommen wir Position und Anrufsignal?« fragte Kolja säuerlich. Ihm gefiel es nicht, ausgelacht zu werden.
    »Die Position kannst du bekommen, wann du willst, jetzt gleich sogar, wenn du sie dir merken kannst«, erwiderte Mike Hawkins ernst. »Kannst du sie behalten?«
    Kolja nickte mürrisch. Er hatte immerhin das Steuermannspatent und verstand sich recht gut auf Navigation.
    »Genau im Kreuz neunundzwanzig Grad östlicher Breite und neunundsechzig Grad nördlicher Breite liegt der Kontrollpunkt. Das Anrufsignal ist Niwa, wie das, was du essen wolltest. Dann geht in absolut gerader Linie nach Westen, dann neuer Anruf, und dann über die Grenze. Wirst du dir das merken?«
    »Ja, natürlich«, sagte Kolja. »Das fehlte noch.«
    »Ja, denn dir sollte klar sein, was für Probleme entstehen, wenn du es vergißt.«
    »Selbstredend. Und es muß in der Schicht sein, die am neunzehnten Dezember beginnt und am dreiundzwanzigsten endet?«
    »Genau. Dann kommt irgendein neuer Typ, der den Kontrollpunkt übernimmt, und dann ist es gelaufen.«
    Kolja nickte ernst, blickte vielsagend auf sein leeres Glas, das augenblicklich und großzügig gefüllt wurde.
    »Wir sehen uns morgen nacht draußen auf der Werft«, sagte Mike Hawkins, klopfte Kolja freundlich auf die Schulter, stand auf und ging, ohne der mehr als halbvollen Whiskeyflasche auch nur einen Blick zu schenken.
    Nachdem Kolja Mordawin eine Zeitlang allein war, erweckte er den Eindruck, als taute er auf, als wüchse er wieder langsam in die Rolle des Lokalmatadors hinein. Zum Teufel, dachte er. Es gibt keinerlei Grund, hier Trübsal zu blasen, es ist ja der letzte Abend für mehr als einen Monat, den ich in einem Lokal verbringen kann. Dann gibt es nur Mühe und Plackerei, aber heute abend gibt es keinen Grund für Schwermut und Balalajkas in der Polarnacht. Saxophone! Keyboard, oder wie das hieß, und eine Sängerin aus Moskau!
    Er winkte zwei Mädchen mit hochgesteckten Haaren, knallroten Lidschatten und kurzen Röckchen zu sich, die vor statischer Elektrizität raschelten; er wußte sehr gut, was das für Frauen waren, und hatte nicht die Absicht, sich einen Tripper zu holen; den Fehler hatte er einmal am Vorabend von vier Wochen auf See gemacht, und es war nicht sehr lustig gewesen. Aber die Mädchen waren gut gegen die Einsamkeit, und außerdem boten sie einen Grund, nach einer gewissen Zeit jemanden an den Tisch zu bitten. Die Mädchen ließen sich natürlich nicht lange bitten, da sie hellsichtig erkannten, daß der Rest des Abends finanziert war und vielleicht sogar noch einen bedeutenden Gewinn abwerfen würde. So waren nun mal die Gesetze des Geschäftslebens, für sie wie für ihn selbst.
    Er bestellte roten Krimsekt, da solche Frauen dieses Getränk mochten, servierte es auf die gleiche Weise, wie er es Mike hatte tun sehen, und versank eine Zeitlang in angenehmen Phantasien.
    Er war siebenundzwanzig Jahre alt und würde sich nie mehr auf irgendeinem Trawler in dem ewigen Gestank von verfaultem Fischschleim abrackern müssen, würde nie mehr frieren müssen wie ein Hund – nun ja, in der allernächsten Zeit würde er vielleicht etwas frieren müssen, doch dann nie mehr; hunderttausend Dollar waren nach heutigem Kurs mehr als elf Millionen Rubel.
    Er versuchte sich vorzustellen, wie lange ein Steuermann auf einem Trawler arbeiten mußte, um elf Millionen Rubel zu verdienen, und kam zu dem Ergebnis, daß es sich um etwa zweitausendzweihundert Jahre handelte.
    Wenn er also im Jahr 209 v. u. Z. als Steuermann auf einem Trawler angefangen und seitdem keine Kopeke verbraucht, sondern alles Geld gespart hätte, würde er jetzt über den gleichen Betrag verfügen.
    Mike hatte ihn davor gewarnt, zu sehr mit Geld zu prahlen; immerhin kam er auch jetzt schon gut zurecht. Er besaß schon ein paar tausend Dollar, ungefähr vierzig Jahresgehälter, und damit ließ sich einiges anfangen. Er schickte ein paar Hundert-Rubel-Scheine zur Band hinüber, und zwar mit einer schnell hingekritzelten Liste von alten russischen Liedern, welche die Mädchen hören wollten. Das Publikum buhte etwas und murrte, als die Wünsche in die Tat umgesetzt wurden. Die Leute wollten wie gewöhnlich westliche Musik hören. Aber in dieser Welt bestimmt das Geld, wie er seiner Tischgesellschaft weltmännisch mitteilte. Er stellte sich allmählich auf seinen letzten freien Abend für sehr lange

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