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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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gleichen Selbstverständlichkeit jeden auffordern zu verschwinden, wann immer er wollte. Mike hatte ihm von einer seiner vielen Fahrten nach Kirkenes einen westlich geschnittenen Anzug aus einem glänzenden, dunkelblauen Material mit dünnen weißen Rändern mitgebracht, ein weißes Hemd und eine italienische Seidenkrawatte, Dinge, die Kolja jetzt trug. So war er im Arktika nicht nur König, sondern fühlte sich auch wie einer.
    Er setzte sich eine dunkle Sonnenbrille auf und trug eine etwas gelangweilte Miene zur Schau, bevor er das abgedunkelte Restaurant betrat. Die Musik hatte noch nicht angefangen, und es saßen nur wenige Gäste im Lokal. Kolja Mordawin gähnte leicht, hielt sich den Handrücken der rechten Hand vor den offenen Mund und überlegte sich gerade, ob er zur Dollar-Bar am anderen Ende des Hauses gehen sollte, als er Mike in einer der runden Nischen mit einem Mann aus dem Westen entdeckte. Mike winkte ihn zu sich, worauf er sofort die dunkle Brille abnahm und schnell und spürbar wach wurde; selbst ein König lief manchmal Gefahr, noch einen Kaiser über sich zu haben.
    Mike Hawkins stellte den Mann als Schweden vor, und Kolja hatte eine Vorstellung davon, wer er war, da er durchschnittlich einmal in der Woche auftauchte. Er fuhr, wie Kolja Mordawin sich erinnerte, mit einem Fernlaster Multbeeren nach Schweden, manchmal auch Preiselbeeren.
    »Das wäre doch auch ein Geschäft, Kolja«, lachte Mike Hawkins. »Ein Monopol auf Multbeeren. Das kann nicht falsch sein. Die Skandinavier sind ganz verrückt nach Multbeeren.«
    Kolja lächelte zweifelnd, als er sich setzte. Natürlich stimmte es, daß er allmählich daran denken mußte, wie er sein Geld investieren wollte, aber Multbeeren und Preiselbeeren kamen ihm doch etwas zu kindisch vor. Das waren keine richtigen Geschäfte.
    Der Schwede beklagte sich eine Zeitlang über die schlechten Straßen. »Es sind weniger als dreihundert Kilometer bis zur finnischen Grenze, aber trotzdem kann die Fahrt im Herbst und im Frühjahr, wenn der Straßenzustand am schlimmsten ist, bis zu zwanzig Stunden dauern. Gott sei Dank rückt der Winter jetzt näher, dann friert die ganze Scheiße wenigstens zu, so daß ich die Transportzeit im günstigsten Fall auf sechs oder sieben Stunden runterbringe.«
    Kolja fragte, wie die Straßen auf der anderen Seite der Grenze seien, bekam aber nur ein lächelndes Kopfschütteln zur Antwort. Der Schwede ging nach kurzer Zeit und entschuldigte sich damit, er müsse nach seinem Laster sehen; der Sattelschlepper parkte vor dem Hotel, während der Anhänger mit dem Container in einem der Kühlmagazine am Rand der Stadt untergebracht war.
    Jetzt kamen die Musiker der Band angeschlendert und packten ihre Instrumente aus. Wahrend der dunklen Jahreszeit begannen sie immer viel früher, als müßten sie die lange Polarnacht bis zum letzten Tropfen ausnutzen, um all die Verluste während der weißen Nächte wettzumachen. Da erschienen die Leute immer sehr spät im Restaurant, falls sich überhaupt Gäste blicken ließen.
    Mike Hawkins wirkte reizbar, fast nervös. Er rief einen der Kellner zu sich und bat ihn, in die Bar für Westler zu gehen und eine Flasche Whiskey und etwas Eis zu holen. Er zog irritiert ein paar zerknüllte Dollarscheine aus der Tasche, die er auf den Tisch warf. Er sagte dem Kellner, er könne den Rest behalten. Dieser, ein Mann mit Nylonhemd, der unter den Armen Schweißflecken hatte, raffte die Scheine andächtig an sich und verschwand mit gekrümmtem Rücken. Kolja gefiel die Szene nicht.
    »Nun, mein junger Freund, wie ist es mit der Verproviantierung gegangen?« fragte Mike Hawkins, als der Whiskey kam und er zwei Gläser vollschenkte. Er hob den Eiseimer mit einem fragenden Blick zu Kolja und bekam ein Kopfschütteln zur Antwort.
    »Prost!« sagte Kolja und kippte den Whiskey auf russische Manier auf einmal in sich hinein.
    »Kolja, Kolja«, sagte Mike Hawkins lächelnd und fast bittend. »So trinkt man einfach nicht, vor allem dann nicht, wenn man Sport treiben will.«
    »Ich bin Seemann«, knurrte Kolja sauer. »Ich trinke, wenn ich im Hafen bin, und arbeite wie ein Tier, wenn gearbeitet werden muß. So sind wir nun mal…«
    »Na, na«, sagte Mike Hawkins mit einem amüsierten Glitzern in den Augen. »Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden. Und die Verproviantierung?«
    »Getrockneter und gesalzener Fisch und Tee sind da. Das Zeug liegt draußen bei der Reparaturwerft«, sagte Kolja, streckte sich lässig

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