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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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pünktlich auf die Minute.« Anschließend gingen die Rituale nach absolut feststehendem schwedischen Muster weiter. Den Gästen wurden ihre Schlafzimmer im Obergeschoß angewiesen. Sie hatten etwas Zeit, andere Schuhe anzuziehen oder sich frisch zu machen. Anschließend kamen sie in das große Zimmer mit den französischen Fenstern zum Wasser hin. Carl hatte inzwischen im Kamin Feuer gemacht. Man trank Champagner und aß von Tessies mexikanischen Appetithäppchen, natürlich unter einigen passenden Lobesworten, obwohl eine kleine Minipizza auf Maisbrot keinen Anklang fand. Sie war ungeheuer stark gewürzt.
    Nach einiger Zeit lief Carl in die Küche und trug die Teller mit den Vorspeisen herein. Er schenkte Wein ein und bat dann die Gäste zu Tisch.
    Diese lachten ein wenig über die Rosen und wechselten mit Carl einen vielsagenden Blick. Im übrigen warteten sie zunächst ab, nachdem sie sich gesetzt hatten, und sahen ihren Gastgeber an. Dieser erfaßte noch Tessies fragenden Gesichtsausdruck, bevor er sein Glas hob und seine Gäste nach schwedischer Sitte zum zweiten Mal willkommen hieß. Er sagte, wie froh Tessie und er seien, gerade die Anwesenden zu einem privaten Zusammensein um sich versammeln zu können. Eine besondere Freude sei es, das frischgebackene Ehepaar Åke und Anna bei sich zu haben, auf das er jetzt den ersten Toast ausbringen wolle, und im übrigen wünsche er guten Appetit.
    Tessie trank mißtrauisch und erwartungsvoll zugleich von dem Wein. Sie brauchte jedoch nur ein paar Sekunden zu überlegen, um widerwillig Carls Ansicht zu bestätigen, daß selbst der beste Chardonnay Kaliforniens bei einem Vergleich keine Chance hatte.
    Der Alte schmatzte laut, als er den Wein gekostet hatte, worauf Tessie Carl schnell einen amüsierten Blick zuwarf und mit den Lippen lautlos fragte, ob es eine c-h-i-n-e-s-i-s-c-h-e Sitte sei, beim Wein zu schmatzen.
    Der Alte prostete seiner Tischdame fast sofort zu, nutzte die Gelegenheit, einen ordentlichen Schluck zu nehmen, und machte dann schnell pflichtschuldigst mit Tessie Konversation, zunächst sehr schwedisch und selbstverständlich.
    »Ist es Ihnen schwergefallen, von dem sonnigen Kalifornien in den kalten Norden umzuziehen? War es schwierig, schwedisch zu lernen? Was halten Sie von der schwedischen Küche? Diese kleinen Happen zum Champagner waren wirklich fabelhaft. Etwas typisch Mexikanisches? Ist die mexikanische Küche immer so stark gewürzt? Gibt es in Mexiko übrigens etwas, was dem russischen Kaviar ähnelt?«
    Der Alte seufzte und meinte, einer der Vorteile seines Berufs sei die Tatsache, daß er Untergebene habe, die manchmal in Moskau seien und sich mit etwas eindecken könnten, was zu den außerordentlich spärlichen Vorzügen des Feindes gehöre. Mehr habe der nämlich nicht zu bieten, Kaviar, Touristensouvenirs und 27 000 atomare Gefechtsköpfe, sonst gar nichts.
    Der Alte entdeckte, daß sein Scherz nicht recht ankam. Da er den Grund nicht verstand, ging er dazu über, den Lachs zu loben, und fragte, ob die Marinade eine mexikanische Spezialität sei. Da, doch erst da, platzte Tessie vor Lachen laut los.
    Bei Speise und Trank stieg die Stimmung immer mehr. Als Carl den Hirschrücken hereinbrachte, ihn auf einem Tranchiertisch abstellte und Åke bat, ihm das große, scharf geschliffene Tranchiermesser mit dem Hirschhorngriff zu reichen, tat Åke Stålhandske blitzschnell etwas, was die Anwesenden nach Luft schnappen ließ. Er nahm das Messer und ließ es durch die Luft in Richtung von Carls Gesicht rotieren. Carl fing es lachend am Griff auf, ließ es an die Decke wirbeln, fing es hinter dem Rücken mit dem Griff auf und begann dann immer noch lachend, das rosafarbene dampfende Fleisch aufzuschneiden.
    »Du hast natürlich gedacht, der alte Carl kann das nicht mehr, was?« knurrte er Åke Stålhandske mit gespielter Wut zu, während er die Scheiben abschnitt.
    Tessie sah wie verhext seine Hände an. Sie hatte die Vision, das Messer sei fast einer seiner Körperteile, nicht nur ein Instrument, sondern tatsächlich ein Teil seiner selbst.
    Alexej Mordawin stand neben dem zur Seite gewuchteten Eingangstor zum Zentral-Stadion, das seinem Wohnhaus gegenüber lag. Er hielt zwei Plastiktüten in der Hand. Inzwischen hatte man eine ovale Eisbahn fertiggestellt, und obwohl es schon recht spät war, liefen viele Leute Schlittschuh. Natürlich meist Kinder, aber auch einige ältere Paare. Die Stadionbeleuchtung war provisorisch, und in der Dunkelheit dort

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