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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Verderben rennen?«
    »Das tun wir natürlich alle«, wandte Samuel Ulfsson ironisch ein. »Die ganze Menschheit verdient daran, daß ihnen ein Mißerfolg bevorsteht, wenn ich mich feierlich ausdrücken soll.«
    Carl schüttelte den Kopf. Er war mit der Antwort nicht zufrieden, hatte selbst aber keine bessere zu bieten.
    »Wir werden sehen«, seufzte er. »Ich meine, es dürfte schon einen gewissen Unterschied machen, wenn sich etwa herausstellt, daß sie gar keine Kernwaffen bei sich haben, sondern nur Attrappen, zum Beispiel. Aber das werden wir vermutlich erfahren. Ich kann mir jetzt nichts anderes mehr vorstellen, als daß uns die Aufgabe zufällt, diese Figuren zu schnappen. Oder was glaubst du?«
    »Nein«, bestätigte Samuel Ulfsson, »warum sollten die Finnen jetzt den Job erhalten, da wir schon alle technischen Probleme gelöst haben und schon in ein paar Tagen startbereit sind? Ich meine, unsere Regierung scheint weniger Bedenken zu haben als die finnische. Die Aufgabe dürfte also uns zufallen. Ich setze sogar voraus, daß du selbst das Unternehmen zu leiten wünschst.«
    »Ja«, sagte Carl leise, »in diesem Punkt habe ich es mir vor ein paar Tagen anders überlegt.«
    »Warum?«
    »Åke hat mir von dieser Endlösung erzählt, oder wie man das nennen soll. Ich würde es für unpassend halten, normalen anständigen Leuten bei den Streitkräften einen solchen Befehl zu geben. Diese Verantwortung werden Åke und ich übernehmen müssen.«
    »Ist es schwer? Ich meine ein schwerer Job?«
    »Du meinst rein technisch?«
    »Nein, nicht nur. Aber okay, ist es denn technisch schwierig?«
    »Nein, in technischer Hinsicht ist der Job nicht schwierig, nur etwas zeitraubend. Und was die seelischen Schwierigkeiten angeht, kannst du dir sicher selbst ein Bild davon machen. Wie ich schon sagte, ich möchte nicht, daß einfache anständige Soldaten sich mit so etwas befassen müssen.«
    Kolja Mordawin sah wie verhext zum Himmel hoch. Das flammende Nordlicht vermittelte ihm eine Vorstellung von der göttlichen Orgel der Ewigkeit, als steckten Inhalte und Absichten hinter dem kosmischen Spiel. Sie hatten sich schließlich gezwungen gesehen anzuhalten, um zu essen und sich auszuruhen, mußten sich aber bald wieder in Bewegung setzen. Es hatte einen vollkommenen Wetterumschwung gegeben. Jetzt herrschte Hochdruck. Am Himmel war keine Wolke zu sehen, und folglich waren die Temperaturen allmählich unter vierzig Grad minus gesunken. Wenn man heftig durch die Nase einatmete, froren die Nasenlöcher zu.
    Der gesamte Proviant war jetzt steinhart gefroren, und sie würden Feuer machen müssen. Mike Hawkins hatte versichert, daß es ungefährlich sei, Feuer zu machen, wenn man den Spirituskocher nur unter eine Tanne mit viel Schnee auf den Ästen stelle. Dann würde die Wärme absorbiert werden, so daß Infrarotkameras eines Flugzeugs keine Chance hätten, die Wärmequelle zu entdecken. Diese Erklärung schien logisch zu sein.
    Jorma und Juha, die gewohnt waren, sich in der Wildnis zu bewegen, machten sich scherzend und lachend an den Spirituskochern zu schaffen, die bei der niedrigen Temperatur nicht ganz leicht zu handhaben waren. Die beiden Männer schienen von der Temperatur vollkommen unbeeindruckt zu sein und zwinkerten Kolja nur lachend zu, als er seinen Proviantsack herbeischleifte. Er drehte den Sack um, schüttelte ein paar geräucherte Rentierkeulen in den Schnee und ging dann zum Proviantschlitten zurück, um die Ladung wieder festzuzurren. In diesem Augenblick bemerkte er, daß der Sack verdächtig leicht war. Er sollte noch mehr als halbvoll sein, doch irgend etwas stimmte nicht. Plötzlich befiel ihn Schrecken. Wie eine Welle zusätzlicher Kälte. Er schüttelte heftig den restlichen Inhalt aus dem Sack.
    Zwei weitere Rentierkeulen fielen in den Schnee. Der Rest war Baumrinde. Zunächst stand er wie versteinert da. Er konnte weder denken noch sich rühren. Dann stürzte er sich verzweifelt auf die anderen Jutesäcke, schnitt sie an den Seiten auf und entdeckte, was er schon ahnte. Der Sack mit dem gefrorenen Lachs war auf die gleiche Weise präpariert worden, der Sack mit Räucherfisch ebenso.
    Er sah zum Himmel und dem Nordlicht und spürte, wie Tränen ihm die Sicht trübten. Er wollte laut schreien oder weinen, erkannte aber, daß er sich zusammennehmen und nachdenken mußte. Es ging um Leben oder Tod. Das war das eine.
    Das zweite war, daß relativ leicht zu verstehen war, wie sich das Ganze zugetragen hatte. Ganz

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