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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Wölfe zu geben. Aber wir können doch verdammt noch mal keine Wölfe essen?«
    »Nein, wir denken gar nicht daran«, grinste Jorma. »Aber Rentierfleisch. Da es hier viele Wölfe gibt, muß es auch Rentiere geben, und außerdem haben wir Spuren gesehen.«
    Der Finne schüttelte den Kopf und schnalzte etwas herablassend, als hielte er Kolja fast für einen Idioten.
    »Wolfsfleisch essen«, schnaubte er, »soweit kommt es noch.«
    Carl starrte mißmutig auf seinen Suppenteller. Dort lag unleugbar ein Stück Fleisch. Da die gedruckte Speisekarte vor ihm auf dem Tisch mitteilte, daß sie jetzt die zweite Vorspeise erreicht hatten, Consommé von Schildkröte, mußte das Fleisch also von diesem Tier stammen.
    »Interessant«, murmelte er ironisch und stocherte mit dem Löffel an dem kleinen Fleischstück herum. »Die Meeresschildkröte gilt doch als vom Aussterben bedrohte Tierart. Vielleicht bekommen wir Nashornfilet als Hauptgericht, oder was glauben Sie, Madame?«
    Seine Tischdame schien dieses Thema weder zu begreifen noch zu schätzen.
    »Kann man Nashorn essen?« fragte sie zweifelnd.
    »Aber sicher«, erwiderte Carl mit vollkommen ausdruckslosem Gesicht, »es gibt ja auch Elefantenfleisch zu essen. Soll etwa so schmecken wie Büffelfleisch. Wale und Flußpferde werden schließlich auch gegessen, also warum nicht auch Nashorn?«
    »Auf der Speisekarte steht jedenfalls Rebhuhn«, wandte seine Tischdame ein, und damit war die Konversation für eine längere Zeit erstorben.
    Carl beschloß, sich einen Ruck zu geben. Natürlich fühlte er sich albern und verkleidet wie in einer Operette. Doch er war immerhin beim König zu einem Galaessen eingeladen, und daran ließ sich absolut nichts ändern. Warum dann nicht versuchen, das Beste daraus zu machen und es mit etwas Humor zu nehmen, wenn es anders nicht ging?
    Tessie war total entzückt. Jetzt bin ich auch eine Prominente , hatte sie gekichert, als sie Arm in Arm das Östliche Gewölbe betreten hatten, um dann die Treppe hinaufzugehen. Sie hatten die Mäntel ausgezogen und ihre Tischkarten erhalten. Sie hatte sich sehr schön gemacht und wirkte mit ihrer Rubin-Halskette wie ein lateinamerikanischer Filmstar. Sie saßen mehr als dreißig Meter voneinander entfernt. Er sah sie von Zeit zu Zeit schräg gegenüber an der anderen Tischseite. Die Gäste waren nach gesellschaftlichem Rang vom König und der Königin entfernt plaziert. Er selbst und Tessie wurden folglich zu dem gesellschaftlich niedrigsten Drittel gezählt, was Carl nicht im geringsten störte.
    Von den anwesenden Offizieren war er der einzige, der keine Generals oder Admiralsuniform trug, aber seine vorgesetzten Kollegen saßen, soweit er sehen konnte, der vornehmen Tischmitte mit dem königlichen Paar nur wenig näher als er selbst. Ein General war offenbar nicht mehr das, was er einmal gewesen war.
    Das Zeremoniell war Carl völlig unbekannt. Mit der natürlichen Sicherheit seiner Herkunft und einer angeborenen Gewißheit, niemals Gefahr zu laufen, sich an einem Eßtisch oder in einem Salon danebenzubenehmen, hatte er sich jedoch mit größter Leichtigkeit in der Prozedur zurechtgefunden und einfach nur das getan, was alle anderen taten. Er ging herum, begrüßte Leute, stellte seine Frau vor und landete schließlich in der Gruppe, in der er offenbar zu Hause war, unter den Uniformen der ranghöheren Kollegen.
    Der Chef der Marine hatte einen hochnäsigen und leicht sauren Kommentar dazu abgegeben, daß der Herr Kapitän zur See offenbar eine kleine Demonstration vorführe. Das zielte darauf ab, daß Carl seine Entscheidung durchgesetzt hatte, auf die ausländischen Orden zu verzichten. Er hatte in letzter Sekunde den Impuls unterdrückt, seinem Vorgesetzten zu antworten, daß er (im Gegensatz zum Marinechef) etwas viel zu tragen gehabt hätte.
    Exakt um 19.30 Uhr kündigte der Hofmarschall das Eintreten des Königs und der Königin an. Sie gingen gemeinsam an den Wänden des Weißen Saals entlang und begrüßten ihre Gäste, erst der König, dann die Königin ein paar Schritte hinter ihm. Hier erlaubte sich Carl seine einzige Abweichung vom Verhalten aller anderen. Es kam ihm etwas albern vor, seine Frau sich selbst zu überlassen. Als der König vor ihm stand, dachte er, wie lustig es sei, das Original der Ein-Kronen-Münze leibhaftig vor sich zu sehen. Er stellte Tessie ganz einfach vor, wie er es bei jedem anderen getan hätte, und wiederholte die Prozedur ein paar Sekunden später bei der Königin.
    Als

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