Niemandsland
daß die Mündung auf gleicher Höhe mit der unteren Bauchregion des Hauptmanns war; er bereute das Ganze schon jetzt intensiv. Er pflegte sonst nie mit etwas zu drohen, wofür er keine Deckung besaß.
Für Carl waren dies einige der entsetzlichsten Momente seines Lebens. Er hatte das Gefühl, als wäre die Zeit zu Ende, als hätte alles mit seinen letzten Worten aufgehört.
Schließlich drehte sich Martin Edström um, entsicherte seine Waffe und ließ einen gutturalen Laut hören, eine Mischung aus Schluchzen und Grunzen. Dann leerte er sein halbes Magazin in den amerikanischen Gefangenen. Die Schüsse waren für Carl eine unendliche Erleichterung. Für die anderen Männer im Lager waren sie nur der selbstverständliche Abschluß dieser düsteren Etappe. Kaum jemand unterbrach seine Beschäftigung oder hob auch nur den Kopf.
Carl befahl eine kurze Unterbrechung der Arbeit und beorderte die Männer zu sich, um ihnen Anweisungen zu geben. Kurz darauf standen sie in einem Halbkreis um ihn und machten besorgte Gesichter. Alle standen vollkommen still, nur Åke Stålhandske nicht, der auf der Stelle trat, weil er immer noch das Bedürfnis hatte, Kreislauf und Körpertemperatur auf Touren zu bringen.
»Ich habe düstere Nachrichten«, sagte Carl und senkte den Blick, bevor er den Kopf hob und in entschiedenem Tonfall die Worte sprach, die gesagt werden mußten. »Wir haben einen Befehl, einen sehr klaren Befehl, an dem es nicht das geringste zu deuteln gibt. Die Gründe können uns gleichgültig sein. Die Absichten sind unter anderem von dem Präsidenten der Sowjetunion und unserer eigenen Regierung formuliert worden. Wir können uns leider nicht so schnell aus dem Staub machen, wie wir es wünschen. Ich kann euch noch nicht für euren glänzenden Einsatz danken. Es verhält sich so, daß alle identifizierbaren Überreste dieser Menschen verschwinden müssen. Mit Hilfe der modernen DNA-Technik kann man einen Menschen selbst dann noch identifizieren, wenn er schon verwest und mehrere Jahre tot ist, auch wenn man nur einen Körperteil findet. Aus diesem Grund muß alles verbrannt werden. Die Asche müssen wir sieben, um zu sehen, ob es noch identifizierbare Reste gibt, beispielsweise einzelne Zähne. Daher dieser große Scheiterhaufen, den ihr gerade aufbaut. Ich bin mir wohl bewußt, wie unangenehm das ist. Major Stålhandske und ich werden deshalb die Schlußphase dieser Arbeit übernehmen. Da ein großes Feuer schon von weitem zu sehen ist, sollten wir ein Alarm und Wachsystem einrichten, sobald alles brennt. Diese Aufgabe werdet ihr übernehmen, während Major Stålhandske und ich hierbleiben. Wir verteilen also immer noch alles Material auf zwei Haufen, brennbares und nicht brennbares Material. Als brennbares Material gelten auch Leichen. Irgendwelche Fragen?« Das Schweigen war ebenso erwartet wie zutiefst unangenehm.
Boris Jelzin hatte sich entschlossen, im Augenblick des Sieges großmütig zu sein. Er wußte, daß Mischa ihn verabscheute, doch dafür hatte er alles Verständnis. Warum sollte der Besiegte den Sieger lieben?
Er war zu einem Treffen um zehn Uhr morgens in Mischas Büro im Kreml bestellt und erwartete, daß das Ganze nur ein paar Stunden dauern würde. Sie hatten sich schon im voraus darauf geeinigt, was besprochen werden sollte: der Zeitpunkt der Übergabe der Kernwaffencodes, der Zeitpunkt für Mischas offiziellen Rücktritt und seine Stellung nach dem Rücktritt.
Vor allem der letzte Punkt würde vielleicht ein wenig zusätzliche Zeit erfordern, wie Boris Jelzin glaubte. Er hatte daher versucht, einen klugen Vorschlag auszuarbeiten, der seiner Ansicht nach recht großherzig war. Letztlich gab es keinen Anlaß, Mischas historische Bedeutung zu leugnen oder auch nur zu verkleinern. Er war in mancherlei Hinsicht ein Tolpatsch und für die Aufgabe, die er auf sich genommen hatte, ganz eindeutig zu weich und unentschlossen. Nun, er würde ein eigenes Forschungsinstitut erhalten, sein Präsidentengehalt weiterbeziehen und eine eigene kleine Leibgarde von zwanzig Mann bekommen; etwa so wie Napoleon auf Elba, gluckste Boris Jelzin vor sich hin.
Als er zu Michail Gorbatschow ins Zimmer trat, schien dieser mit einigen Dokumenten beschäftigt zu sein, die er in rasendem Tempo unterzeichnete. Er bat den Mann, in dem er seinen Meister gefunden hatte, fast nebenbei, sich zu setzen und zu warten.
Boris Jelzin wiederholte im stillen das Versprechen, sich großmütig zu zeigen. Es gab keinen Grund, jetzt
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