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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Streit anzufangen. Mischa hatte nicht mehr viel Zeit, seinen Minister wie einen wartenden rangniederen Beamten zu behandeln.
    Michail Gorbatschow beeilte sich jedoch, seine Arbeit abzuschließen, und ging dann freundlich, aber dennoch etwas reserviert auf Boris Jelzin zu und gab ihm die Hand. Eine Umarmung kam natürlich nicht in Frage. Dann setzte er sich auf einen Stuhl wie Boris Jelzin, damit sie einander an dem Couchtisch gleichberechtigt gegenübersaßen.
    »Nun, Boris, laß uns jetzt nicht sentimental sein. Wir sollten uns wie Staatsmänner verhalten und nicht wie Politiker«, begann Michail Gorbatschow mit einer ausholenden und konzilianten Gebärde.
    »Und was gibt es da für einen Unterschied, sozusagen unter uns Politikern?« knurrte Boris Jelzin, während er sich erneut an seine Großmut erinnerte.
    »Sehr einfach, mein lieber Boris«, sagte Gorbatschow mit einem listigen Glitzern in den Augen. »Ein Politiker denkt nur an die nächste Wahl, ein Staatsmann an das Wohl der Nation.
    Und genau das müssen wir jetzt tun, denn unsere Situation ist nicht gerade unkompliziert.«
    »Wann gedenkst du zurückzutreten, Mischa?« schnitt ihm Boris Jelzin den Gedankengang ab.
    »Morgen, am Dienstag, werde ich die Rede ausarbeiten. Wir glauben, daß sie am Mittwochabend gegen sieben gesendet werden kann. Unmittelbar danach werde ich das, was einmal die Kernwaffencodes der Sowjetunion gewesen sind, an dich übergeben, Boris. Aber zuvor wollte ich noch über…«
    »Warum erst dann?« grunzte Boris Jelzin mißvergnügt. »Wie du sagst, ist unsere Situation nicht unkompliziert. Wir haben es in Tiflis mit einem Bürgerkrieg zu tun, und Kasachen, Weißrussen und Ukrainer zetern und faseln, sie wollen die Kontrolle über ihr Kernwaffenarsenal behalten. Wie du weißt. Das kann deiner Aufmerksamkeit ja kaum entgangen sein. Nicht wahr?«
    »Durchaus nicht. Du hast ja so recht, mein verehrter Boris«, sagte Michail Gorbatschow, der sich sichtlich anstrengte, Ruhe und Geduld zu bewahren. »Wir sollten die Fragen aber vielleicht einzeln besprechen. Erstens halte ich es für unpassend, diese Verantwortung an dich zu übergeben, solange ich noch Präsident bin, denn es sollte zweckmäßigerweise erst nach meinem Rücktritt geschehen. Und zwei Tage wirst du dich wohl noch gedulden können.«
    »Aber ja. Doch je schneller wir die neue Lage etablieren können, ohne daß Unklarheiten auftreten, um so besser, denn Unklarheiten können in unserer, wie du sagst, komplizierten Situation gefährlich sein. Nun, ich will nicht mehr darauf herumreiten. Du trittst am Mittwochabend zurück, und die Übergabe erfolgt unmittelbar danach. Recht so?«
    »Recht so. Aber da gibt es noch das eine oder andere, was du wissen solltest…«
    »Außerdem hatte ich mir gedacht, dir ein eigenes politisches Forschungsinstitut zu geben. Außerdem wird dein Gehalt als Präsident weitergezahlt, und du bekommst einen Stab von zwanzig Mann.«
    »Sehr großzügig, mein lieber Boris, sehr großzügig. Aber wie ich schon sagte, gibt es einige komplizierte…«
    »Ein bißchen könntest du dich aber freuen, Mischa!« unterbrach Boris Jelzin. Er war enttäuscht darüber, daß das, was er als seine großmütige und großzügige Geste gegenüber dem Verlierer ansah, so schnell als Gesprächsthema beiseite gefegt worden war.
    »Wie wahr, Boris, wie wahr. Du sollst nicht glauben, daß ich deine Großzügigkeit in dieser für uns alle so schweren Stunde nicht zu schätzen weiß. Es ist nur so, daß ich es für notwendig halte, dich schon jetzt mit bestimmten Problemen vertraut zu machen, die gerade mit unseren Kernwaffen zu tun haben.«
    Jetzt endlich verstummte Boris Jelzin. Er kannte seinen Rivalen sehr gut und sah ihm an, daß er nicht über Katzendreck sprechen wollte.
    Das tat er auch nicht. Das Gesprächsthema verlängerte ihr Treffen auf acht Stunden, ohne daß jemand in der Umgebung so recht begreifen konnte, worüber die beiden so lange gesprochen hatten. Nach dem Gespräch wurde offiziell nur mitgeteilt, wann der Präsident zurücktreten wollte, wann bestimmte strategische Befugnisse auf den Nachfolger übergehen sollten und welche Stellung Michail Gorbatschow nach dem Rücktritt erhielt. Und das konnte so viel Zeit erfordern.
    »Also«, sagte Gorbatschow und holte tief Luft. »Wir wollen jetzt nicht mehr um den heißen Brei herumreden. Wir, das heißt die Führung der Streitkräfte der Sowjetunion, arbeiten seit einiger Zeit daran, jede Form einer Bedrohung durch

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