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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Wasserfalls befand sich eine große Öffnung, wo das Eis dünn zu werden begann und ein großer wirbelnder Tümpel mit schäumendem grünen Wasser sich mit solcher Kraft bewegte, daß es dem Willen der Natur widerstand und nicht gefror.
    Åke überlegte eine Weile, ging dann zurück und holte Skier und Skistöcke, während Juha zögernd bei dem tosenden Wasserfall stehenblieb. Die Dämmerung ging allmählich in Dunkelheit über.
    »Zu demselben Zeitpunkt, zu dem ihr über die Grenze gehen wolltet«, begann Åke Stålhandske mit zusammengebissenen Zähnen, »darfst du einen Versuch machen, über die Grenze zu kommen. Mindestens zehn Kilometer südlich von uns. Es dürfte dann einigen Zirkus geben, und vielleicht hast du eine Chance. Aber nun zurück zu dir, mein Junge. Ich schenke dir also dein Leben. Dafür muß du mir aber etwas als Gegenleistung bieten, das verstehst du doch?«
    Juha überlegte eine Weile, knöpfte dann seine Brusttasche auf, zog ein dickes Geldbündel hervor und hielt es Åke hin, der eine erstaunte Miene des Abscheus machte.
    »Das ist alles, was ich habe. Es sind fünfzigtausend Dollar«, sagte er verzweifelt.
    »Hör mal, Kleiner«, sagte Åke Stålhandske aggressiv, »bist du noch bei Trost? Steck diesen Scheiß sofort wieder ein. Du mußt einen anderen Preis bezahlen. Ich will dein Schweigen. Was auch passiert, du mußt die Schnauze halten. Sonst macht man mir die Hölle heiß, das verstehst du doch?«
    »Ich schwöre«, erklärte Juha feierlich. »Ich schwöre bei allem, was ich besitze und habe und bei meinem Leben.«
    »Nun ja«, sagte Åke Stålhandske schroff, »genau darum verhandeln wir schließlich. So! Du nimmst die Skier. Aber erst mußt du mir bei etwas helfen.«
    Åke Stålhandske hob die beiden Skistöcke auf und band sie am unteren Ende zusammen. Er prüfte mit ein paar kräftigen Rucken, daß die Schnur hielt, und reichte dem erstaunten Juha den einen Stock, seine Handschuhe und seine Mütze. Der junge Finne hatte noch nicht begriffen, was jetzt geschah.
    »Halt jetzt dagegen. Wenn ich sterbe, werden die anderen kommen und dich holen«, brummelte Åke Stålhandske, ergriff den zweiten Skistock und ging entschlossen ein paar Schritte auf die schwache Eiskante zu, bis zu den wirbelnden Wassermassen, und brach plötzlich ein. Er verschwand unter Wasser, so daß nur noch die Hand zu sehen war, die den Skistock hielt.
    Juha hielt verzweifelt dagegen und kämpfte hart, als Åke Stålhandske mit einem Walroßprusten auftauchte und sich über die schwache Eiskante zog. Das Eis brach zweimal unter seinem Gewicht, bis er festes Eis unter den Füßen hatte.
    »Ich hab… es ei…lig… wie du… vielleicht… verstehst!« schrie Åke Stålhandske. Er erbebte vor Kälte. »Los, verschwinde jetzt. Viel Glück!«
    Åke Stålhandske begann unbeholfen loszulaufen, um zu verhindern, daß das Wasser einen Eispanzer an seiner Kleidung bildete und ihn in einen tödlichen Würgegriff nahm. Er stolperte und schnaubte, fiel hin, stand wieder auf und rannte weiter, ohne sich umzusehen. Er hatte einen zwei Kilometer langen Wettlauf mit dem Tod vor sich.
    Juha sah ihm nach, als er sich in der Dunkelheit aufzulösen begann, so daß nur noch sein Husten, Schnauben und Prusten verriet, wo er sich befand. Er hielt die Augen fest auf die Spur gerichtet, da ihn die Kälte blendete.
    Juha wollte nicht weinen. Er wollte wirklich nicht weinen, das tat nämlich kein Mann, zumindest nicht in Finnland.
    Doch plötzlich und unwiderstehlich strömten ihm jetzt die Tränen übers Gesicht. Er begann heftig zu frieren. Ihm wurde so kalt, daß er am ganzen Körper zitterte. Er konnte nicht klar sehen, als er an der Skibindung herumtastete, um sie seiner Schuhgröße anzupassen. Er hatte sein Leben von diesem Wasserschweden geschenkt bekommen, der jetzt sein eigenes aufs Spiel setzte.
    Die Vernichtung hatte begonnen. Carl hatte noch nicht ausdrücklich erklärt, was geschehen würde, aber ihm war klar, daß den anderen schon Ahnungen kamen. Kurz darauf war es Zeit für die unerbittliche Wahrheit.
    Drei Mann waren damit beschäftigt, hundert Meter weiter weg in einer zwei Meter breiten Felsspalte einen gewaltigen Scheiterhaufen zu errichten. Sie schichteten ausschließlich tote und verdorrte Bäume auf. Die dickeren Teile außen in einem Viereck, in der Mitte Äste, Zweige und Reisig. Überdies sollte das gesamte Material des Schmugglerlagers auf zwei Haufen verteilt werden, in brennbares und nicht brennbares

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