Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
ihrer Kernwaffen beraubt werden mußten. In vielen Fällen wurden gewöhnliche Wehrpflichtigenverbände eingesetzt, die lediglich den Auftrag erhielten, bei strategischen Raketen die dritte Stufe zu entfernen und diese dann einfach per Bahntransport nach Norden zu verfrachten. Diese tödlichen Ladungen fuhren mit fahrplanmäßigen Güterzügen und manchmal sogar mit gemischten Fracht und Personalzügen. Man hatte dies als sicherer beurteilt als den plötzlichen Einsatz aufsehenerregender Sonderzüge. Die Operation war natürlich geheim und mußte möglichst weit vorangetrieben werden, bevor einige Politiker in den aufsässigen Republiken überhaupt mitbekamen, was da vorging.
    Eine Konsequenz von all dem war allerdings, daß an bestimmten Endstationen Engpässe entstanden, und da die meisten beschlagnahmten Waffen aus leicht erkennbaren Sicherheitsgründen nach Norden gingen – hier oben würde kein Mensch an die Waffen herankommen –, standen in der Region immer mehr merkwürdige Bahnladungen herum.
    Konkret ging es also darum, die Demontage zu Ende zu führen, damit die beschlagnahmten Waffen effektiv und sicher gelagert werden konnten. Die Gefechtsköpfe beispielsweise mußten aus den Raketenhüllen entfernt, neu gesichert und in Container von ausreichender Stabilität umgeladen werden, um sicher gestapelt werden zu können. Alles mußte natürlich sorgfältig markiert, bezeichnet und nach guter Seemannsart katalogisiert werden.
    Neben vielen anderen Dingen war dies die Erklärung dafür, daß der Ausbau von sicheren Schutzräumen oben in Sapadnaja Litsa forciert worden war. Die in den Fels gesprengten Höhlen waren also nicht dafür gedacht, in Kriegszeiten die Taifun-U- Boote zu schützen – solche Überlegungen gab es im Moment überhaupt nicht –, sondern nur dazu, nukleares Überschußmaterial zu lagern.
    Kurz, in den nächsten Monaten würden mehrere tausend Megatonnen Sprengkraft auf den Polarlinien der Eisenbahn vorbeirattern.
    Bei diesem Kommando gab es nichts zu diskutieren oder einzuwenden. Alexej Mordawin wußte auch nichts zu sagen, als er erfuhr, daß sein Sonderurlaub auf nur noch zwei weitere Tage verkürzt worden war. Dann würden nämlich die Baracken bei dem schon überlasteten Anschlußgleis südöstlich von Petschenga fertig sein. Anschließend würde er in Zehn-Tage-Schichten arbeiten, dann zwei Tage frei erhalten und wieder zehn Tage arbeiten. Für einen U-Boot-Offizier war das kein Grund zu jammern.
    Das Treffen beim Vizeadmiral in der Basis von Seweromorsk war trotz seines schauerlich ernsten Anlasses kurz gewesen.
    Mordawin hatte jetzt reichlich Zeit, aber nach den Auslagen für neue Uniformteile kaum noch Geld bei sich und beschloß, einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Er hatte ohnehin noch fast eine Stunde Zeit, bis er Kolja und dessen amerikanischen Geschäftspartner unten im Hotel Arktika traf.
    Er lief mit gesenktem Kopf und den Händen auf dem Rücken energisch los und versuchte, die politische Bedeutung dessen abzuschätzen, was jetzt geschah. Als er sich vergegenwärtigte, was in letzter Zeit in der Polarnaja Prawda gestanden hatte, zeigten sich unleugbar drohende Untertöne in der Kritik an den Spaltern und bestimmten unverantwortlichen Elementen und anderen. Konkret befürchtete die Führung der Sowjetunion also Auflösungstendenzen im Staat, Gegensätze, die sich bis zu bewaffneten Konflikten ausweiten konnten, sowie innerstaatliche Erpressungen unter Einsatz von Kernwaffen. Das waren in mehr als nur einer Hinsicht schauerliche Aussichten.
    Er erinnerte sich an das gestrige Telefongespräch mit seinem Bruder, der ihn aus Sewastopol angerufen hatte. Sie hatten natürlich über den jungen Kolja und dessen wirtschaftliche Erfolge gesprochen. Beide waren sich nicht ganz schlüssig, ob sie das als unangenehmes Zeichen von Abenteuerlust werten sollten oder ganz einfach nur als Ausdruck des neuen Zeitgeists. Mordawins älterer Bruder hatte versichert, so müsse man es wohl sehen. Bis dahin war es beiden leichtgefallen, trotz der schlechten Verbindung miteinander zu sprechen.
    Doch als der Bruder andeutete, sie würden sich vielleicht bald sehen und ihre Kräfte schneller vereinen, als mancher annehme, und ähnlich gewundene Formulierungen verwendete, horchte Alexej Mordawin auf. Offenbar hatte der Bruder Angst davor, unbefugte Ohren könnten mithören. Doch wen hatten zwei Offiziere der Sowjetflotte bei einem Inlandsgespräch zu fürchten? Alexej Mordawin vermutete, daß

Weitere Kostenlose Bücher