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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Teile der Schwarzmeerflotte vielleicht schon bald ukrainisches Territorium verlassen würden, um sich entweder mit der Pazifik oder der Eismeerflotte zu vereinigen. Als er sich das im Licht des heutigen Gesprächs vergegenwärtigte, schien es tatsächlich möglich zu sein, so unwahrscheinlich es ihm gestern auch vorgekommen war. Es galt, so viele strategische Waffensysteme wie möglich aus der Ukraine abzuziehen. Sein älterer Bruder war Navigationsoffizier auf einem Raketenkreuzer, einem der schlagkräftigsten und modernsten Schiffe der Schwarzmeerflotte. Ja wahrhaftig, sie würden vielleicht schon schneller zu einem Verband gehören, als man ahnen konnte. All dies weiter zu bedenken, war entsetzlich, denn es deutete auf die vollständige Auflösung des Staates hin.
    Er hatte den Stadtteil Rosta passiert, ohne es auch nur zu bemerken, und war schon unten am Semjonowskij-See angekommen, in dem immer noch viele Menschen badeten. Er selbst gehörte dem Verein der Winterschwimmer von Murmansk an und hatte nicht viel dafür übrig, in lauwarmem Wasser zu baden. Er hatte Jelena versprochen, mit ihr gelegentlich einen Ausflug zum See zu machen. Das würde jetzt wohl schwer werden, da sie ihre knappe Freizeit sorgfältig abstimmen mußten.
    Er sah am Strand eine Zeitlang den spielenden Kindern zu. Der Anblick machte ihn irgendwie wehmütig. Die meisten Kinder waren Russen, in der Sowjetunion geboren, doch jetzt war es mehr als unklar, in welchem Land und unter welchen Verhältnissen sie aufwachsen würden.
    Es kam Alexej Mordawin vollkommen absurd vor, unter diesen Bedingungen Kolja und irgendeinen Ausländer zu treffen, um über etwas so Unwichtiges wie »Geschäfte« zu reden. Doch er hatte versprochen, sich zu dem Treffen einzufinden, und so, wie sich einige Dinge peinlicherweise entwickelt hatten, war es nicht einfach, dem jungen Kolja abzusagen. Inzwischen hatte sich die Wohnung in der Fischgasse nämlich mit merkwürdigen japanischen Geräten, Kabeln und neuen westlichen Möbeln gefüllt, und das in einem Umfang, dessen ökonomische Bedeutung er sich nicht einmal vorstellen konnte. Alles hatte plötzlich dagestanden, und während Pjotr überglücklich war, hatte er Jelena davon zu überzeugen versucht, daß sie die Waren zurückschicken müßten. Ehrliche Leute könnten nicht wie Spekulanten wohnen. Doch sein jüngster Sohn und seine Frau hatten sich heftig gegen alle Argumente dieser Art zur Wehr gesetzt. Unter anderem hatten sie auf die Ungerechtigkeit in der alten Zeit verwiesen, in der ausgerechnet Spekulanten die einzigen gewesen seien, die sich Videogeräte leisten konnten. »Was ist denn falsch daran, wenn auch mal ehrliche Leute in den Genuß der gleichen Vorteile kommen?« Kolja hatte versichert, diese Dinge seien Kleinigkeiten für einen Mann wie ihn, der sich mit legalem business befasse. Außerdem könne es ja nicht falsch sein, erst einmal für seine Angehörigen zu sorgen.
    Alexej Mordawin hatte sich widerwillig überreden lassen. Noch widerwilliger hatte er sich von den Dingen interessieren lassen, die man auf diesen Videokassetten sehen konnte. Unter anderem hatte Kolja einen ganzen Karton mit Filmen über das Tierleben im Nördlichen Eismeer mitgeschickt.
    Alexej Mordawin fühlte sich unwohl, als er die große düstere Halle des Hotels Arktika betrat und die Treppe zum Restaurant hinaufging. Es war recht dunkel im Lokal, und da mehrere Tische durch kreisrunde, gepolsterte Wandschirme abgetrennt waren, so daß man in diesen Nischen wie in einem Séparée saß, brauchte er einige Zeit, um Kolja und den amerikanischen Geschäftsmann zu finden.
    Der Amerikaner, ein Mann mit grauem und kurzgeschnittenem Haar, sprach recht gut russisch. Er hatte wie Kolja eine Stupsnase, so daß die beiden auf den ersten Blick miteinander verwandt zu sein schienen. Und angesichts der unverhüllten Bewunderung, mit der Kolja den Amerikaner bedachte, hätte man sie für Vater und Sohn halten können.
    Alexej Mordawin lehnte entrüstet Champagner und Wodka ab und bat statt dessen um einen Stachelbeersaft. Der Amerikaner lachte und sagte, das sei ein offenes Wort, bei geschäftlichen Besprechungen solle man tatsächlich lieber auf Schnaps verzichten.
    Alexej Mordawin wandte säuerlich ein, von einer geschäftlichen Besprechung könne keine Rede sein, denn er habe ein neues Kommando erhalten, das sehr zeitraubend sei und ihn längere Zeit von der Stadt fernhalten werde. Die beiden anderen taten seine Einwände lachend und mit

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