Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
gefährlichste Karte zu spielen, die sich auf unserer Erde überhaupt denken läßt.
    In dieser schwierigen Lage kann ich mich nur darüber freuen, daß Sie, Herr Präsident, den Ernst unserer Situation und unserer gemeinsamen Probleme in vollem Umfang erkannt zu haben scheinen.
    Es ist ohne Zweifel unsere gemeinsame Pflicht und Schuldigkeit gegenüber unseren beiden Brudervölkern und vor unserem Amt, eine illegale Ausfuhr sowjetischer Kernwaffen an Personen oder Staaten, die zu äußerster Rücksichtslosigkeit bereit zu sein scheinen, mit allen Mitteln zu stoppen. Lassen Sie mich auch als Antwort auf Ihre direkte Frage erwidern, daß es mein ausdrücklicher Wunsch ist, diese Verbrecher aufzuspüren und unschädlich zu machen, bevor sie sowjetisches Territorium verlassen haben. Auf Grund der unklaren und unsicheren Situation, die gegenwärtig in meinem Land herrscht, halte ich es für gefährlich, die üblicherweise mit solchen Problemen betrauten Organe zu Rate zu ziehen, da jeder Mißerfolg die Katastrophe noch verschlimmern könnte. Daher diese Bitte um Ihren Beistand und den Ihres Landes in dieser für uns alle sehr ernsten Situation. Was unsere künftigen Verbindungen in dieser Angelegenheit angeht, bin ich der Meinung, daß wir auch weiterhin so kommunizieren sollten wie bisher, nämlich per Handschreiben. Als Abgesandten habe ich Oberst Kirill Jewgeniwitsch Tschernenko vorgesehen, zu dem ich volles Vertrauen habe. Der kritische Zeitpunkt scheint aus heutiger Sicht der Monat Dezember zu sein. Doch zuvor werden wir hoffentlich noch mehrmals kommunizieren können.
    Mit vorzüglicher Hochachtung Michail Sergejewitsch Präsident der UdSSR Präsident Mauno Koivisto faltete die Übersetzung des Briefes und das Original langsam zusammen und ging zu seinem Panzerschrank auf der anderen Seite des Raums, in dem er die Dokumente einschloß. Dann sah er auf die Uhr. Es war kurz nach 23.00 Uhr, überdies ein Freitag.
    Es war nicht zu ändern. Er ging mit schweren Schritten zu seinem Schreibtisch zurück und suchte kurz nach einer der vielen Telefonnummern, die jederzeit greifbar sein mußten. Dann rief er den Chef der SKYPO an, der finnischen Sicherheitspolizei, und bat um ein sofortiges Zusammentreffen. Er hörte an den Hintergrundgeräuschen am Telefon, daß der SKYPO-Chef offensichtlich Gäste zu Hause hatte und daß die Stimmung recht munter war. Möglicherweise war sein Gesprächspartner nicht mehr ganz nüchtern. Das war nicht zu ändern. Er würde schon wach werden, wenn er erfuhr, worum es ging.
    »Sagen Sie Ihren Gästen nicht, wer angerufen hat«, sagte Mauno Koivisto kurz und legte auf.
    Carl traf beim Echo des Tages in einer Gemütsverfassung ein, die nach außen entspannt wirken mochte, doch er selbst empfand so etwas wie Galgenhumor. Der Gedanke, vor Massenmedien zu treten und über die operative Arbeit des Nachrichtendienstes zu diskutieren, stand in diametralem Gegensatz zu seiner Pflichtauffassung.
    Er mußte sich jedoch eingestehen, daß Sam recht hatte. Es war wichtig, daß sie sich verteidigten, denn wenn man Journalisten und Politikern freies Feld für Spekulationen überließ, würde das Land in guter demokratischer Manier, zumindest formal, wahnsinnige Entscheidungen treffen.
    Der Kampfauftrag war insoweit klar. Er konnte zwar keine Frage vorhersehen, denn darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht, fühlte sich aber bestens gerüstet, die Arena als Sieger verlassen zu können.
    Er hatte seit langem keine Uniform mehr getragen, doch im Augenblick mochte er sie, denn sie war so etwas wie eine psychologische Waffe. Erik Ponti durfte nicht allein sein, da dieses erste und folglich sehr exklusive Interview mit dem gegenwärtig heißesten Interview-Objekt des Landes mit zuviel Prestige verbunden war, und da die anderen auch Männer waren, sprach die Uniform zu ihnen. Zwar würden sich ein Auslandschef vom Echo des Tages und dessen Vorgesetzter von einem Fregattenkapitän nicht beeindrucken lassen, denn sie hatten immerhin täglich mit Ministern und Generälen zu tun. Es waren nicht die vier goldenen Streifen an den Ärmeln, sondern die vier Reihen mit Ordensspangen auf der linken Brustseite, die ihre Blicke auf sich ziehen und sie zweifellos in eine unterlegene Position bringen würden.
    Er wußte inzwischen, daß es so funktionierte. Es machte ihn weder besonders froh noch stolz. Es war nur eine objektive operative Voraussetzung, etwa so, wie Dunkelheit im Gegensatz zu hellem Tageslicht

Weitere Kostenlose Bücher