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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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dieser Flug hätte unter gar keinen Umständen wie gewöhnlich sein können, denn alles Gewöhnliche und Normale hätte im Gegenteil das Gefühl von Traum und Unwirklichkeit noch verstärkt. Insofern entsprachen der höllische Lärm und der Geruch nach Zigarren, Bier, Wodka, Schweiß und Erbrochenem seiner Situation; es herrschte eine Untergangsstimmung, die ganz einfach besser zu der kleinen schwarzen Tasche paßte, die an seinem Handgelenk angekettet war.
    Seine Handflächen waren feucht, und er lachte vor Unruhe nervös auf. In einer Stunde etwa würden seine Kleider nach Bier stinken.
    Vor zwei Stunden war er Michail Gorbatschow begegnet. Dieser war vollkommen wirklich gewesen, in Wahrheit kleinwüchsiger als auf Fotos, doch das Feuermal saß, wo es sitzen sollte. Sie waren in einem sehr russischen und viel zu großen Konferenzsaal zusammengekommen. Vielleicht war es das Arbeitszimmer des Kreml gewesen.
    Eero Grönroos hatte vor Nervosität geschwitzt. Der finnische Botschafter hatte den Vortritt verlangt und war ihm wie eine Art Aufpasser gefolgt, wobei er seine Irritation über diese unerhörte und flagrante Verletzung der normalen Verfahrensweise keine Sekunde verbarg. Es paßte ihm nicht, daß die normalen diplomatischen Kanäle diesmal übergangen wurden. Am Ende war Eero Grönroos in dem Augenblick allein zum sowjetischen Staatspräsidenten hineingeschubst worden, als zwei Personen den Raum verließen. Übrig blieb Gorbatschow, der unter einem Kristalleuchter stand. Er trug graue Hosen und einen Cardigan mit V-Ausschnitt sowie eine Krawatte. Seine Jacke hing auf der Stuhllehne hinter dem überladenen Schreibtisch. Neben dem Schreibtisch stand ein Mann, den Eero Grönroos wiederzuerkennen glaubte, ohne sagen zu können, woher er ihm bekannt vorkam.
    Er fühlte sich verwirrt und wußte nicht, was er sagen sollte oder auch nur in welcher Sprache. Sein Russisch war miserabel, doch der Präsident half ihm schnell aus dem Dilemma, indem er ihm mit einem Wortschwall entgegenkam, den Sendboten des Präsidenten der Republik Finnland willkommen hieß und ihm mit einer Handbewegung bedeutete, er möge sich setzen.
    Eero Grönroos setzte sich auf einen schweren, vergoldeten und mit rotem Samt gepolsterten Stuhl. Er wollte gerade etwas sagen, als ihm der unbekannte Mann zuvorkam, indem er schnell und routiniert die Worte seines Präsidenten ins Englische übersetzte. Es waren die schon vermuteten Höflichkeitsfloskeln.
    Dann setzte sich Michail Gorbatschow ein wenig umständlich hin. Sein freundlicher Blick wurde kummervoll, als er anschließend zur Sache kam.
    Eero Grönroos verstand sehr wohl, worum es ging, und zeigte dem Dolmetscher mit einer Handbewegung, daß die Übersetzung nicht notwendig war. Er zog den Brief seines Präsidenten aus der Jackentasche und überreichte ihn weisungsgemäß direkt an Gorbatschow. Dieser bedankte sich mit einem Kopfnicken und öffnete den Umschlag mit dem Daumen, als wäre es irgendein alltäglicher Brief, warf einen flüchtigen Blick auf den Inhalt und reichte ihn dann seinem Dolmetscher. Dieser setzte sich eine Lesebrille auf und übersetzte den Text ins Russische.
    Eero Grönroos, der nur vermuten konnte, was der finnische Präsident in dem Brief geschrieben hatte, musterte intensiv Michael Gorbatschows Gesicht, um dessen Reaktionen zu deuten.
    Doch dieser nickte nur nachdenklich, bekümmert und bestätigend. Am Inhalt des Briefes konnte also nichts überraschend oder fremd sein.
    Irgendwie empfand Eero Grönroos dies als Befreiung. Er hatte mit leichter Panik davon phantasiert, ausgelacht und ausgeschimpft zu werden, als wäre alles nur ein satanischer Streich. Davon konnte also keine Rede sein. Die Bedrohung, daß der Kernwaffengeist aus der Flasche entweichen konnte, war folglich absolut real.
    Als der Dolmetscher zu Ende gelesen hatte, saß Michail Gorbatschow kurze Zeit still da und massierte sich die Stirn unterhalb des leuchtenden Feuermals. Dann nickte er entschuldigend zu Eero Grönroos hin, trat an seinen Schreibtisch, ergriff einen dicken Füllfederhalter und zog zwei Blatt Papier aus der Schublade.
    Er schrieb ruhig und ohne Unterbrechung etwa fünf Minuten lang. Anschließend unterschrieb er und reichte den Brief seinem Dolmetscher, der sich ans kurze Ende des Schreibtischs setzte und eine Übersetzung anfertigte, vermutlich ins Englische. Er sah von Zeit zu Zeit auf, um über eine bestimmte Formulierung zu diskutieren, und erhielt schnelle, entschlossene Antworten,

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