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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ihre Mutter am Apparat«, und dazu
erscholl aus dem Hintergrund Gelächter.
    Ich schloß die Augen und unterdrückte
einen Seufzer. »Ma, ich bin’s.«
    »Hallo, mein Kleines.«
    »Ma, hast du schon wieder getrunken?«
    »Ja, wir haben ein Glas Wein getrunken.
Seit wann bist du so prüde?«
    Berechtigte Frage, dachte ich. Ich
benahm mich tatsächlich prüde — aber die Erkenntnis machte mich keineswegs
weniger grantig. »Sieh mal, Ma«, sagte ich, »es tut mir leid, daß ich dich
vernachlässigt habe — «
    »Du brauchst dich gar nicht zu
entschuldigen. Mir gefällt es hier gut mit deinen Freunden. Wir haben vor, uns
Pollo Humungo zu bestellen — «
    »Supremo.«
    »Wie bitte?«
    »Es heißt El Pollo Supremo.«
    »Wie auch immer. Wenn du willst, kannst
du ja hier bei All Souls zu uns stoßen.«
    Aber mir war schon eine Lösung meines
Problems eingefallen. »Das würde ich gerne, Ma«, sagte ich unaufrichtig, »nur
arbeite ich an einem Fall und muß heute nacht jemanden observieren.«
    Meine Mutter gab keine Antwort. Im
Hintergrund hörte ich Gemurmel. »Ma?«
    »Hank fragte gerade, wie viele
Hähnchen. Ißt du jetzt mit uns oder nicht?«
    »Ich sagte doch gerade, ich muß
jemanden observieren.«
    »Ach.« Ma sprach vom Hörer weg. »Sie
kommt nicht, aber bestellen Sie auf alle Fälle eines extra. Ich kann mir damit
morgen dann ein paar Sandwiches belegen für den Bus.«
    O Gott, ich hatte vergessen, daß sie
sich morgen um acht Uhr früh zu meiner Schwester Patsy nach Ukiah aufmachen
wollte! »Ma -«
    »Keine Sorge, Sharon. George hat
gesagt, er bringt mich heim. Mach du nur deinen Servierdienst.«
    »Eine Observierung, Ma.«
    »Stimmt.«
    »Ma, möchte George mit mir —?«
    »Ich muß jetzt Schluß machen, Sharon.
Wir sehen uns bei dir zu Hause.« Und dann war die Leitung tot.
    Ich knallte wütend den Hörer auf den
Haken. Die Vehemenz meiner Reaktion überraschte mich, und ich sagte laut: »Was
ist eigentlich los mit dir?«
    Eine Frau auf dem Gehsteig warf mir
einen befremdeten Blick zu. Ich starrte sie an. Sie starrte zurück, und ich
verzog mich zu meinem Wagen, weil ich fürchtete, einen dieser sinnlosen
gewalttätigen Zwischenfälle zu provozieren, die neuerdings immer häufiger
vorzukommen scheinen. Vielleicht war das mein Problem — die verrückten Dinge,
von denen man ständig in der Zeitung liest, hatten angefangen, mich direkt zu
beeinflussen.
    Und vielleicht rutscht du auch gerade
in diese typische Midlife-Nörgelphase, merkte meine stets wachsame innere Stimme an.
    »Halt die Klappe«, sagte ich zu ihr und
lenkte den MG in die Gegend von Ongs Haus.
     
    Die Saint Germain Avenue lag im
Dunkeln. Nur aus den zugezogenen Fenstern fiel schwaches Licht auf die Straße.
Hinter der Ziegelmauer am Ende der Fahrbahn bogen sich Zypressen im Wind.
Zwischen ihnen schienen Lichter aus der Ebene und von den East-Bay-Hügeln
herüber. Ongs Haus stand als schwarze, verwinkelte Silhouette vor dem
Nachthimmel.
    Ich fuhr bis zum Ende der Straße,
stellte den MG nah an der Mauer ab und schaltete die Scheinwerfer aus. Einige
Minuten lang beobachtete ich die Häuser in der Umgebung auf Bewegungen der
Vorhänge oder Gestalten an den Fenstern. Es war nichts zu sehen. Die Häuser
gegenüber dem von Ong waren zu hoch in den Hang gebaut, als daß ihre Bewohner
vorbeifahrenden oder parkenden Autos sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt hätten,
und bei den anderen waren die Fenster so angelegt, daß der Blick in die
entgegengesetzte Richtung ging.
    Ich war froh, daß niemand meine Ankunft
beobachtet hatte, schlüpfte aus dem Wagen und schlich im Schatten auf Ongs Tor
zu. Beim Hinausgehen vorhin hatte ich ein kleines Stück Papier in den Spalt
gesteckt und erst dann zugezogen. Daran konnte ich erkennen, ob jemand
hineingegangen war. Das Papier steckte noch. Ein rotes Lämpchen unter dem
Schloß zeigte an, daß die Alarmanlage eingeschaltet war — wahrscheinlich
automatisch zu bestimmten Uhrzeiten — , und über das ganze Anwesen verteilt
leuchteten Sicherheitsstrahler.
    Die Nacht war kalt geworden. Der Wind
blies heftig und zerrte an den Blättern der Yuccapalmen im Hof. Ich zog mir die
Jacke enger um die Schultern und ging zu meinem Wagen zurück. Von dort hatte
man eine gute Sicht. Der Mond ließ das Hausdach und die Scheiben der
Oberlichter silbern glänzen. Ich richtete mich auf eine lange Wartezeit ein und
machte es mir bequem. Der Kaffee in dem großen Styroporbecher und das
gequetschte, plastikverpackte Sandwich, die ich

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