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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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mir in dem kleinen
Einkaufszentrum besorgt hatte, waren zwar nicht gerade ein Zuwachs an
Lebensqualität, aber ich würde sie zu fortgeschrittener Stunde sicher noch sehr
hoch zu schätzen wissen. Eine Zeitlang versuchte ich, Radio zu hören, aber Interferenzen
störten dem Empfang — was wahrscheinlich auf die Nähe zum Sutro Tower
zurückzuführen war. Meine Beine wurden steif, doch in einer derart ruhigen
Umgebung konnte ich nicht einfach aussteigen und auf und ab gehen. Ich konnte
nicht einmal soviel Kaffee trinken, wie ich gewollt hätte. Sonst würde ich
prompt in dem Augenblick im Gebüsch hocken, wenn etwas Interessantes passierte.
    Eine Zeitlang ließ ich in Gedanken die
Fakten Revue passieren, die ich bisher in der Hand hatte. Aber dann schweifte
ich ab, und vor meinem inneren Auge tauchten nur noch Bilder auf: mein erster
Blick auf den spiegelglatt daliegenden Tufa Lake, auf die Kalisalz-Ebene und
die Krater der Vulkane im Süden; auf das gezackte Basaltgestein des Stone
Valley und die Überreste der zerstörten Zivilisation von Promiseville; und auf
den alptraumhaften Tufa-Wald.
    Noch andere Bilder tauchten auf,
gewöhnlichere und zugleich bezeichnendere. Die schlichte Häßlichkeit der Hütte
im Willow Grow Lodge. Zelda’s Bierreklame und die Einrichtung aus ästigem
Kiefernholz hinter Wolken von Qualm. Hy Ripinskys gemütliches Wohnzimmer mit
den Büchern in ihren bunten Schutzumschlägen rund um den Natursteinkamin. Und
Hy selber: sein Profil mit der Hakennase, das dunkelblonde, zottige Haar, das
ihm in Locken über den Kragen der schäbigen Wildlederjacke hing, sein
schlaksiger Körper, der stets wie auf dem Sprung wirkte...
    Mein Gott, wie ich mich in ihm
getäuscht hatte. Ich hatte ihn für meinen Verbündeten gehalten, für einen
Menschen, der den Umweltschutz ganz zu seiner Sache gemacht hatte und
nichtsdestoweniger den Überblick und die Zähigkeit besaß — meinetwegen auch den
Zynismus — , sich ein realistisches Bild von den Ereignissen zu erhalten. Und
jetzt hatte ich erfahren, daß er diese Fassade nur als Tarnung für sein
wirkliches Engagement benutzte... aber wofür ?
    Doch vielleicht ging ich zu weit.
Vielleicht war Hy in gar nichts verwickelt. Ich rief mir noch einmal rasch ins
Gedächtnis, was ich bei seinem Gespräch mit Knight mitgehört hatte, schüttelte
dann aber den Kopf. Ich wollte gern an seine Unschuld glauben, doch dieser
Wunsch hielt den Beweisen nicht recht stand. Und es kam noch einiges hinzu:
seine undurchsichtige Vergangenheit, die extreme Zurückhaltung, wenn es um
seine Person ging, die unausgesprochene Antipathie gegen Ned Sanderman...
    Ich ging noch einmal die Fakten durch
und versuchte mir vorzustellen, warum Mick Erickson an den Tufa Lake gefahren
war und warum Ripinsky und Knight gleichermaßen annahmen, daß auch Ong dort
auftauchen würde. Und während ich darüber nachdachte, spürte ich, wie tief mich
Ripinskys Verrat getroffen hatte. Doch das ergab keinen Sinn: Ich kannte ihn
gerade drei Tage. Wir hatten die Dinge durchgesprochen, Informationen
ausgetauscht, ein paar Bier getrunken und getanzt. Warum...?
    Weil du ihm vertraut hast. Du hast
nicht nur Bier mit ihm getrunken und mit ihm getanzt, sondern du hast ihm etwas
von dir anvertraut. Du hast diesem Mann etwas über dich erzählt, was du noch
niemandem erzählt hast — nicht einmal George.
    Das war also die Ursache für meinen
Schmerz. Ich hatte gedacht, auf eine verwandte Seele gestoßen zu sein, hatte
ihm ein Stück von mir selbst preisgegeben, das ich niemals glaubte mit jemandem
teilen zu können. Ich hätte merken müssen, daß Ripinsky sich mir nicht geöffnet
hatte —
    In der Nähe von Ongs Einfahrt bewegte
sich etwas.
    Ich setzte mich gerade auf und beugte
mich vor, um durch die Windschutzscheibe zu spähen. Eine Gestalt bewegte sich
die graue Mauer entlang. Der Wind blähte ihre dunkle Kleidung auf. Sie blieb
vor dem Tor stehen, drückte wahrscheinlich auf die Klingel und wartete. Ich
bemühte mich, Einzelheiten zu erkennen, aber alles, was ich sicher sehen
konnte, waren ein loser Mantel und irgendeine Art Mütze. Die Gestalt war nicht
groß, aber ich konnte weder ihre Größe annähernd schätzen noch feststellen, ob
die Person männlich oder weiblich war, asiatisch oder weißer Abstammung.
    Nach ein paar Augenblicken ging die
Gestalt über den Gehsteig zu den Toren der Doppelgarage und versuchte
vergeblich, sie zu öffnen, erst das eine, dann das andere. Also niemand, der
zufällig

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