Niemandsland
vorbeikam oder ein Vertreter, sondern jemand, der sehr dringlich ins
Haus wollte. Möglicherweise ein guter Bekannter der Familie Ong.
Ich beobachtete, wie die Gestalt sich
wieder umdrehte und die Straße bis zur Kreuzung mit der Glenbrook hinunterging.
Als sie aus meinem Blickfeld war, startete ich den MG und fuhr langsam und ohne
Licht bis zur Ecke. Weiter unten parkte ein Wagen — einer von diesen
schnittigen Miatas, wie sie mir seit kurzem in den Straßen auffielen. Die
Gestalt stieg gerade ein.
Warum parkte sie hier unten? Warum
nicht direkt vor dem Haus?
Ich hielt unter den herabhängenden
Zweigen einer Akazie an und duckte mich, als der Miata wendete und seine
Scheinwerfer über meinen Wagen streiften. Als er kurz hinter der ersten Kurve
die Glenbrook hinunter verschwand, schaltete ich meine eigenen Scheinwerfer ein
und folgte ihm.
Der Miata fuhr flott und sicher durch
die gewundenen Kurven bis zum Upper Market und von dort in Richtung Innenstadt.
An der Castro huschte er noch bei Gelb über die Ampel, aber an der Sixteenth
Street hatte ich ihn wieder eingeholt. Bisweilen direkt hintereinander,
bisweilen mit einem oder zwei Wagen zwischen uns kamen wir so fast bis ans Ende
der Market Street. Ich versuchte, nahe genug aufzufahren, um einen Blick auf
den Fahrer zu werfen, mußte mich aber wieder zurückfallen lassen, damit ich
nicht entdeckt wurde.
Schließlich bog der Wagen um einen
Block und fuhr auf der Kearny durch den verlassenen Finanzdistrikt. Die Straße
stieg langsam zum Telegraph Hill an. Dann bog er in die Zufahrtstraße ab, die
sich unterhalb des Coit Tower durch den Park schlängelte.
Überrascht ging ich vom Gas und fuhr an
den Bordstein. Ich wußte, daß die Straße an der Aussichtsstelle und dem
Parkplatz am Tower endete. Tagsüber ist die Gegend voller Mietwagen und
Touristenbusse, T-Shirt- und Souvenirverkäufer, aber nachts ist sie weitgehend
verlassen. Wegen des klaren Wetters waren noch einige Leute da, die den
Ausblick bewunderten, und natürlich die unvermeidlichen Liebespärchen, aber ich
konnte mir nicht vorstellen, warum der Miata dorthin gefahren war.
Es sei denn, der Fahrer oder die
Fahrerin hätte mich entdeckt und wollte mich zu einer Konfrontation zwingen.
Ich konnte hier warten, weil diese Straße auch die einzige Ausfahrt war, und
mich wieder an den Wagen hängen, sobald er zurückkam. Oder ich konnte ihm
gleich folgen und nachsehen, wer ihn fuhr und was er oder sie vorhatte.
Ich legte den ersten Gang ein und ließ
den Wagen wieder auf die Fahrbahn rollen.
Auf der Hügelspitze erhob sich der weiß
glänzende Tower im Flutlicht gegen den Himmel. Er gleicht einem Löschrohr und
dient als Denkmal für San Franciscos tapfere Feuerwehrleute (oder für Lillie
Hitchcock Coits Faible für die Feuerwehr — das hing von der Interpretation der
Lokalhistorie ab). Die Straße endete auf einem halbkreisförmigen Parkplatz, auf
dem ein paar Autos ohne Licht mit der Nase zur Stadt standen, die sich
schimmernd vor ihnen ausbreitete.
Der Miata war nicht unter ihnen.
»Unmöglich«, sagte ich laut. Der Wagen
war nicht wieder an mir vorbeigefahren, und einen anderen Weg bergab gab es
nicht und auch keine Stelle hier oben, an der er sich versteckt haben könnte.
Und dann fielen mir die Zufahrten ein,
die von der Straße weiter unten abgingen — schmale Straßen zu den Garagen der
teuren Villen und Apartmenthäuser, die sich zwischen der dichten Vegetation an
den Hang schmiegten. Der Miata konnte in so eine Zufahrt eingebogen sein,
gewartet haben, bis ich vorbei war, und dann davongefahren sein. Oder der
Fahrer beziehungsweise die Fahrerin wohnte hier in der Nähe.
Ich stellte den MG auf dem Parkplatz ab
und stieg aus. Der Wind blies hier so scharf wie auf Ongs Hügel und trug einen
Geruch von Zypressen, Eukalyptus und Lorbeer herauf. Ich schloß den Wagen ab,
knöpfte mir die Jacke zu und holte eine kleine Taschenlampe aus meiner Tasche.
Mit nach unten gerichtetem Strahl ging ich zu einer schmalen Backsteintreppe,
die in ein Koniferendickicht führte.
Von meinen früheren Besuchen — meistens
mit Stadtfremden auf Besichtigungstour — wußte ich, daß die Treppe im Zickzack
den Hügel hinabführte. Von ihr zweigten Pfade und Stege zu den Häusern ab.
Schließlich endete die Treppe unten auf einer der Straßen — der Montgomery? Der
Greenwich? Ich war mir nicht sicher.
Ich folgte dem Lichtkegel meiner
Taschenlampe die Stufen hinab, hielt mich am eisernen Geländer fest
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