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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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und
wünschte, ich hätte Schuhe angezogen, die sich für den Abstieg besser eigneten.
Der Geruch des Lorbeers war hier stärker. Ein kleines Tier huschte durch den
Efeu an mir vorbei bergauf. Durch die Bäume konnte ich ein kleines Stück
unterhalb drei Apartmenthäuser gleicher Bauweise erkennen. Auf dem
hellerleuchteten Dachgarten des entferntesten fand eine Party statt. Gelächter
und Musik wehten herüber.
    Am Fuß dieses Treppenstücks zweigte ein
Weg ab. Ein Pfad führte weiter zur nächsten Treppe, vorbei an einem Haus im
Cottagestil, der andere zu einem Steg zwischen den Apartmenthäusern und dem
efeubewachsenen Hang. Zu diesem Steg hin öffneten sich auch die beleuchteten
Haustüren. Ich blieb stehen und sah sie mir an.
    Während ich dastand, hörte ich Schritte
vom anderen Ende des Wegs — das schnelle, hohl klingende Klappern von hohen
Absätzen. Ich duckte mich hinter einer Zypresse, die sich im Wind bog. Die Schritte
kamen näher, hielten an.
    Ich lugte vorsichtig durch die Zweige.
Eine Frau, ähnlich gewandet wie die Gestalt vor Ongs Haus, stand mit dem Rücken
zu mir vor dem Eingang des mittleren Hauses. Sie drückte auf einen der
Klingelknöpfe. Ärgerlich zwei-, drei-, viermal.
    Die Frau wartete fast eine Minute lang
und trommelte ungeduldig mit den Fingern gegen den Türrahmen. Dann stampfte sie
mit dem Fuß auf und wühlte in ihren Manteltaschen und in der Umhängetasche, als
suche sie nach Schlüsseln. Aber ihre Hände blieben leer, und so trat sie weiter
zurück auf den Steg und sah zu den oberen Fenstern hinauf. Sie waren alle
dunkel. Schnell lief sie zur Hausecke, beugte sich über das hüfthohe Geländer
und sah nach den Seitenfenstern. Auch sie waren dunkel. Im nächsten Augenblick
drehte sie sich um und sah in meine Richtung. Ihr Gesicht war in der
Nachtbeleuchtung gut zu erkennen.
    Margot Erickson.
    Meine erste Überraschung wandelte sich
zum Schock, als ich ihr mißhandeltes und geschwollenes Gesicht sah. Die rechte
Seite war voller Prellungen, rot unterlaufen, das Auge fast zugeschwollen. Ich
mußte unabsichtlich die Zweige bewegt haben, denn sie warf den Kopf zu meinem
Versteck herum.
    »Mrs. Erickson«, sagte ich und ging auf
sie zu.
    Ihre Hand flog zur Wange hoch — ein
vergeblicher Versuch, die Verletzungen zu verbergen. Ihr unverletztes Auge
weitete sich und verzerrte ihr Gesicht zu einer grotesken Maske. Selbst in dem
schwachen Licht war jetzt das volle Ausmaß der Angst zu erkennen, die ich
gestern morgen nur erahnt hatte.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte ich und
streckte ihr beide Hände entgegen. »Ich will Ihnen nichts tun.«
    Sie fuhr zurück, preßte sich an das
Geländer.
    Ich ging zu ihr. Bevor ich ein weiteres
Wort sagen konnte, sprang sie plötzlich auf mich zu und warf mich fast um.
    Ich rappelte mich hoch und bekam ihren
Ellbogen zu fassen. Sie wirbelte herum, und ihre Fingernägel kratzten mir den
Handrücken auf. Ich ließ ihren Arm wieder los. Ihre flache Hand traf meine
Wange mit solcher Wucht, daß ich gegen das Geländer taumelte. Als ich mich
wieder gefangen hatte, rannte sie bereits auf die Treppe zu.
    Ich lief ihr rufend nach. Sie blieb
stehen, drehte sich um und trat nach meinen Beinen. Ihr Schuh traf mein
Schienbein, und diesmal ging ich zu Boden. Rückwärts auf die Stufen, die am
Cottage vorbeiführten.
    Ich griff nach dem Eisengeländer und
schwang herum, bekam aber das Gleichgewicht nicht wieder. Dann stürzte ich nach
vom, ruderte mit den Händen, fand aber keinen Halt. Knie und Schienbeine
scheuerten über die rauhen Stufen, mein Kopf schleuderte gegen die Stützmauer
an der Seite.
    Während ich hinabrollte und mich
schließlich seitlich der Stufen abstemmen konnte, hörte ich Margot auf dem Steg
davonrennen. Der Schmerz zuckte in Wellen durch meinen Körper. Ich biß die
Zähne zusammen, um nicht loszuheulen. Und schmeckte Blut.
    Einen Augenblick blieb ich kopfüber
ausgestreckt auf den Stufen liegen. Seltsamerweise hatte sich rundum nichts
verändert: Auf dem Dach ging die Party weiter. Im Cottage murmelte ein
Fernseher. Hoch über mir zwitscherte ein Vogel. Dann quietschten Reifen auf
Asphalt — jemand fuhr die Rampe der Tiefgarage unter einem dieser Häuser hoch.
Margot Erickson.
    Warum war sie nicht von der Garage aus
durch den Innenaufgang zu dem Apartment gegangen? Warum außen herum über den
ganzen Steg zur Haustür? Die Schlüssel... scheinbar hatte sie die Schlüssel
verlegt. Im Wagen hatte sie den automatischen Türöffner für die Garage

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