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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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da.
    Schließlich sagte sie: »Ich frage mich,
warum diese arme Frau solche Angst vor dir hatte.«
    »Na ja, irgendwer hatte sie ganz schön
verprügelt.«
    »Das reicht nicht. Wie du es erzählst,
hatte sie keinen Grund zu glauben, daß du ihr etwas antun wolltest. Vielleicht
suchst du sie morgen noch einmal auf, bis dahin wird sie sich beruhigt haben
und mit dir reden können.«
    Ich wartete. Aber sie sprach nicht
weiter, und so sagte ich: »War das alles? Willst du mir keinen Vortrag darüber
halten, daß ich mir einen netten, sicheren Job suchen soll?«
    »Nein, das habe ich nicht vor. Ich kann
nicht sagen, daß ich glücklich darüber bin, in welche Gefahr du dich andauernd
begibst. Aber was immer ich dir sage, es würde nichts ändern. Du wirst auch
weiterhin genau das tun, was du dir vorgenommen hast, ob ich es nun billige
oder nicht.«
    »Das sind ja ganz neue Töne.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe
beschlossen, dich erwachsen werden zu lassen.« Nach einer Pause fügte sie
hinzu: »Weißt du, eines Tages wirst du es mit mir genauso machen müssen.«
    »Was soll das bedeuten?«
    »Ich weiß, du bist unglücklich über die
Scheidung — und über Melvin. Es tut mir leid, daß du dich so fühlst, aber es
ist mein Leben, und genau wie du habe ich vor, es in meine eigenen Hände zu
nehmen — mit oder ohne deine Billigung.«
    Natürlich hatte sie recht. Es war Zeit
zum Loslassen. Nicht nur die jungen Vögel verlassen das Nest. Auch die
Vogelmutter tut es, und schließlich zerfällt das Nest und wird vom Wind
fortgetragen. Wenn mir das nun mit dem eigenen Familiennest passierte, hieß
das, daß ich mir ein eigenes festeres bauen mußte — oder zugeben, daß ich dazu
nicht fähig war oder nicht willens...
    »Ma«, sagte ich, »was hältst du
wirklich von George?«
    Sie schien keineswegs überrascht von
dem Gedankensprung. »Ich habe dir bereits gesagt, daß ich ihn sehr mag.«
    »Aber du hast mir auch gesagt, ich soll
vorsichtig sein, was das Heiraten angeht. Das war nicht nur, weil du Pa verläßt
und Zukunftspläne mit Melvin hast.«
    Sie seufzte und steckte das lose Ende
von Ralphies Halsband in die Schnalle zurück. »Nicht ganz, nein.«
    »Was ist es also dann?«
    »George ist ein einfacher Mann, Sharon.
Vielleicht zu einfach für dich.«
    »Einfach? Ma, der Mann ist Professor an
der Stanford University! Er hat ein bahnbrechendes Buch geschrieben über — «
    »Ich habe nicht gesagt, daß er nicht
intelligent ist. Aber denk einmal an das Buch: Der Mann hat Persönlichkeitsbilder
entworfen und sie zu kleinen festen Gruppen geordnet. Dann hat er sie in Kranke
und Gesunde aufgeteilt und versucht, den Kranken zu sagen, wie sie gesünder
werden können.«
    Das war in Grundzügen die Beschreibung
seines Werks, wie George sie ihr am Abend zuvor beim Dinner dargelegt hatte.
Aber in der unkomplizierten Ausdrucksweise meiner Mutter hörte sich das Ganze
irgendwie dümmlich an. Eilig verteidigte ich seine Arbeit. »Was ist daran
falsch? Wir könnten ganz gut ein paar pathologische Persönlichkeiten weniger
gebrauchen.«
    »Sicher, aber Tatsache ist, daß die
Welt nicht so funktioniert, wie George es gern hätte. Die Leute lassen sich
nicht in kleine feste Gruppen einordnen. Und nicht jeder kann gesund werden —
oder will es überhaupt.«
    »...Ja, das weiß ich.«
    »George weiß es nicht.«
    »Dann ist er eben ein Optimist.«
    »Ja, er ist ein Optimist. Und er möchte
glücklich sein.«
    »Und du glaubst, ich kann ihn nicht
glücklich machen?«
    »Sharon, jetzt pluster dich nicht auf.
Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, am Ende würde er dich unglücklich machen.
Du wirst mit Sicherheit in keine seiner Gruppen passen.«
    »Willst du damit sagen, daß ich
emotional instabil bin?«
    Ma schüttelte amüsiert den Kopf.
»Abgesehen vom aufbrausenden Temperament deines Vaters bist du völlig gesund.
Aber du hast auch noch eine andere Seite. In dir ist etwas... Wildes, das sich
nicht im Zaum halten läßt. Diese Seite von dir wird es nie zulassen, daß du in
einer dieser festen Gruppen ein angenehmes Leben verbringst — nicht einmal mit
einem guten Mann, den du liebst. Aber du wirst dich schuldig fühlen und unglücklich sein, weil du es nicht kannst.«
    Ich brachte kein Wort hervor — nicht
nur das, was sie gesagt hatte, war ein Schock für mich, sondern auch die
Tatsache, daß ich zum erstenmal in meinem Leben mit meiner eigenen Mutter ein
sinnvolles Gespräch unter Erwachsenen führte. Nach einer Weile

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