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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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fragte ich:
»Woher weißt du das alles über mich?«
    »Ich habe dich nicht umsonst dein
ganzes Leben lang beobachtet. Und es war auch kein Scherz, als ich sagte, du
seist wie dein Vater. Was, glaubst du denn, hat er da draußen in der Garage
anderes gemacht, als sich seiner dunkleren Seite zu widmen?«
    Ich nickte und dachte an Pa: an diesen
plötzlichen Wechsel von seiner gewohnten heiteren Stimmung in schwarze Depressionen,
die man bei ihm erleben konnte, und an sein zwanghaftes Bedürfnis nach
Einsamkeit. Und ich dachte an das Vertrauen, das ich unklugerweise Hy Ripinsky
entgegengebracht hatte — diese Enthüllung meiner anderen Seite, von der ich
selbst George gegenüber nur Andeutungen gemacht hatte. Ich dachte daran, wie
sehr ich mich bemühte, den Mann, den ich liebte, vor allen Aspekten meiner
Arbeit, die über Routine und amüsante Anekdoten hinausgingen, zu bewahren.
    »Du meinst also«, sagte ich nach einer
Weile, »ich soll ihn nicht mehr sehen?«
    »Das ist nicht nötig. Aber du solltest
vorsichtig sein und dir Zeit lassen.«
    Ralphie brummte, kletterte von Mas
Schoß und zog sich in die Sofaecke zurück, die — zumindest in dieser Woche —
sein Schlafplatz war. Allie setzte sich auf und schüttelte verwirrt den Kopf.
Das Halsband klirrte. Ma schaute auf die Uhr, stand auf und stopfte sich ihre
Plüschdecke unter den Arm. »Ich gehe jetzt lieber ein bißchen schlafen«, sagte
sie. »Die Busfahrt nach Ukiah dauert lange, und ich fürchte, mit Patsy wird es
Ärger geben. Obwohl sie ein reichlich unordentliches Leben geführt hat, ist
deine Schwester sogar noch prüder als du.« Doch sie lächelte dazu, um ihrer
Bemerkung den Stachel zu nehmen, und tätschelte mir im Vorbeigehen die Wange.
    Als sie an der Tür war, sagte ich:
»Ma?«
    »Ja?«
    »Ich habe beschlossen, dich erwachsen
werden zu lassen.«
    »Danke, Sharon. Vielen Dank.«
    Ich legte den Eisbeutel auf den
Kaminsims und ging zum Schaukelstuhl, schwenkte das Weinglas in beiden Händen
und starrte in die erlöschenden Flammen. Was Ma mir gesagt hatte, hatte mich
überrascht. Doch nun wurde mir klar, daß ich das schon immer gewußt hatte, mich
aber gegen die Erkenntnis gewehrt und sie tief in mein Unterbewußtsein verbannt
hatte. Ich würde ihre Warnung beachten und mir Zeit lassen — nicht, weil meine
Mutter mich gewarnt hatte, sondern weil ich hier und da mich selbst schon zur
Vorsicht gemahnt hatte.
    Aber verdammt noch mal — warum sagten
mir in letzter Zeit so viele Leute Dinge, die ich gar nicht hören wollte?
     
     
     

18
     
    Am nächsten Morgen war ich schlecht
gelaunt. Nachdem ich Ma am Bus verabschiedet hatte, fuhr ich also wieder heim
und wartete auf die Informationen, um die ich Rae gebeten hatte. Das Haus kam
mir seltsam leer vor. Auch Ralphie und Allie merkten es. Sie schlichen durch
ihren Katzeneingang hinaus und wieder herein und tappten immer wieder durch den
Flur und steckten ihre Nasen ins Gästezimmer. Wie man weiß, bringen eifrige
Geschäftigkeit und das Wieder her stellen des gewohnten Zustands einen am
ehesten darüber hinweg, daß man einen Menschen vermißt. So zog ich denn rasch
das Bett ab. Aber zu guter Letzt fand ich mich doch vor dem Kommodenspiegel
wieder und starrte mich an.
    Auf dem linken Wangenknochen, wo mich
Margot Ericksons Schlag getroffen hatte, war eine Schwellung, und auf der Stirn
prangte eine rote Beule. Unter meinen Jeans hatte sich ein weiteres Sortiment
von Prellungen, Schürfwunden und Kratzern ausgebreitet. Die Muskeln taten mir
weh, vor allem am verlängerten Rücken, so daß meine Bewegungen recht steif
ausfielen.
    Ich seufzte bei der Vorstellung, nun
den ganzen Tag lang lästige Fragen beantworten zu müssen, was denn passiert
sei, oder ihnen auszuweichen.
    Und warum war mir das überhaupt
passiert? Ma war der Meinung, die Schläge, die Margot vorher bekommen hatte,
reichten nicht aus als Erklärung für ihren gewalttätigen Angriff auf mich, und
in gewisser Weise stimmte ich ihr zu. Sie hatte aus Angst so reagiert — aus
einer Angst, die schon da gewesen war, bevor sie geschlagen worden war. Doch in
ihrem Angriff auf mich hatte auch Wut mitgewirkt, ein beabsichtigter und
brutaler Ausbruch, und einige meiner Verletzungen spiegelten ihre eigenen
wider. Es schien, als hätte sie mir heimzahlen wollen, was man ihr angetan
hatte.
    Aber wer war das gewesen? Und warum?
    Ich drehte mich vom Spiegel weg, zog
das Bett fertig ab und warf die Bezüge in den Wäscheschlucker, der in der
Waschecke

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