Niemandsland
über ihren
Vorschlag nach. Bei dem Verdacht, den ich gegen ihn hegte, schmeckte mir die
Idee gar nicht, die einsame Bergstrecke zwischen Reno und Vernon mit Hy
Ripinsky zu fahren. Aber es war unwahrscheinlich, daß er von dem Verdacht
wußte, und möglicherweise war er so wenig auf der Hut, daß ich ihm unterwegs
noch etwas entlocken würde.
»Ted schaut gerade in den Flugplan«,
sagte ich zu Anne-Marie. »Was ist denn Schlimmes passiert?«
»Ach.« Heftiges Atmen und so nah am
Weinen, wie ich es noch nie von ihr gehört hatte. »Das hebe ich lieber auf, bis
du hier bist.«
Ich fragte mich, ob ihre Zurückhaltung
mit Ripinskys Anwesenheit im Büro zu tun hatte. Hatte auch sie Verdacht
geschöpft?
Ted kam wieder herein. »Ich habe für
dich den Acht-Uhr-Zehn-Flug mit AirCal von San Francisco gebucht.« Er legte mir
ein Blatt mit der Flugnummer und der Ankunftszeit auf den Tisch.
Ich las es Anne-Marie vor und sagte,
daß wir uns dann in der Feriensiedlung sähen.
»Sehe ich das richtig, daß ich jetzt
bis auf weiteres Stall wache bei dir habe?« fragte Ted.
»Wenn es dir nichts ausmacht.«
»Ausmachen? Ha! Es bedeutet nur, daß
ich mir ein paar Videos leihe und sie in deinem Recorder abspielen kann, ohne
vom Telefon oder unseren geschätzten Kollegen unterbrochen zu werden.«
Ich sah ihm nach, als er das Büro
verließ, und mir ging durch den Kopf, wie sehr ich und wir alle von Ted
abhängig waren. Wir kamen nie auf den Gedanken, daß er auch einmal wirklich
freihaben wollte, wenn der Zeiger auf fünf Uhr rückte. Wir dachten uns nichts
dabei, ihm das Ausrichten von Botschaften aufzubürden, ihn Plätze im Flugzeug
reservieren, Dinge nachschlagen und verlorene Sachen suchen zu lassen, und das
alles bei Tag und bei Nacht. Ich habe selten einmal über sein Privatleben
nachgedacht, geschweige denn bemerkt, daß er seit dem Tod seines Freundes Harry
keine intimen Beziehungen mehr eingegangen war — die Aids-Bedrohung war für ihn
zur vollen Realität geworden. Ted war mir nie wie ein einsamer oder
überlasteter Mann vorgekommen, aber jetzt wurde ich gewahr, daß er beides war,
und das machte mich traurig. Ich würde in Zukunft mehr an seine Bedürfnisse
denken müssen, genau wie an Georges —
George! Hastig wählte ich seine Nummer
und machte mir Gedanken, wie er wohl auf eine derart kurzfristige Absage
unserer Verabredung reagieren würde. Die Leitung war besetzt. »Verdammt!«Ich
warf den Hörer auf die Gabel, nahm ihn gleich wieder hoch und rief Bart Wallace
in seiner Dienststelle an.
Bevor er sich nach den Fortschritten
meiner Ermittlungen erkundigen konnte, sagte ich: »Ich möchte Ihr Angebot auf
Hilfe in der Erickson-Sache in Anspruch nehmen.«
»Okay.« Wallace klang argwöhnisch, aber
er war immer schon ein äußerst vorsichtiger Mann gewesen.
Ich gab ihm schnell eine Liste von
Namen durch, darunter auch Ripinskys, die er im Bundeskriminalregister und bei
der staatlichen Justizbehörde überprüfen lassen sollte. Wallace versprach, sie
gleich auf den Weg zu bringen. Ich bedankte mich und sagte, ich würde morgen
wieder anrufen. Als ich einhängte, kam Rae zur Tür herein.
»He, mit Peggy Hopwood, das war gute
Arbeit«, sagte ich und beschloß, die Geschichte mit dem aufgelegten Telefon für
den Augenblick zu vergessen. »Du mußt heute ja ganz schön herumgerannt sein.«
Sie gab keine Antwort. Ihre blauen
Augen schauten starr auf mein übel zugerichtetes Gesicht, und ihre
Sommersprossen gerieten in einen scharfen Kontrast zu ihrer plötzlich blaß
gewordenen Haut.
Sie sagte: »Nicht schon wieder!«
»Wie bitte?« Ich sah auf meinen
Schreibtisch und fing an, Papiere und Ordner einzusammeln, die ich mitnehmen
wollte.
»Sieh dich nur an!«
»Das habe ich schon, danke, und einmal
hat mir gereicht.«
»Machst du Witze über so was?« Sie trat
ganz ins Zimmer und stellte sich mitten auf meine Orientbrücke, die Hände in
die Hüften gestemmt, das kleine Kinn vorgeschoben.
Ich war nicht in der Stimmung, eine
weitere Moralpredigt über mich ergehen zu lassen, und gab in lockerem Ton
zurück: »Wenn ich nicht scherzte, müßte ich wimmern, und was hätte ich davon?«
Ich stand auf und packte meinen Aktenkoffer voll.
Rae sah mir einige Augenblicke zu und
fragte dann: »Was ist passiert?«
Ich brachte sie auf den neuesten Stand
meiner Ermittlungen, aber bei der Stelle, wo Margot Erickson mich angriff,
wurde sie nervös. Sie ging hin und her und folgte dabei dem geometrischen
Muster der Brücke,
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