Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe
werden! Es ist schwer, mit jemandem ein Bündnis zu schließen, der noch vor sich hat, was man selbst zumindest im Geiste schon hinter sich hat. Er warnt den Freund, sein Plan sei keine exzentrische Laune, als vielmehr eine Not. Ihre künftige Existenzform wird ganz einfach sein: Wir leben, arbeiten, genießen füreinander – vielleicht daß dies die einzige Art ist, wie wir für das Ganze arbeiten sollen.
Welche Sehnsucht klingt aus diesen Sätzen. Und dabei lebt er schon so, zumindest in Teilzeit, in der Tribschener Teilzeit. Und die Tage, die dort nun folgen, wird er niemals vergessen.
Wir leben, arbeiten, genießen füreinander. Präziser kann man das Tribschener Jahresende 1870 gar nicht beschreiben. Und zugleich noch das Gefühl haben dürfen, für das Ganze zu arbeiten!
Was für ein Jahr der Gemeinsamkeit, der Seelen- und Gedankenverschwisterung. Was für ein – Glück!
Eine große Vorweihnachtsheimlichkeit bricht in Tribschen aus. Cosima lernt stricken, wahrscheinlich ist sie der Meinung, dass eine Mutter erst dann eine gute Mutter ist, wenn sie für ihre Kinder strickt. Friedrich Nietzsche bekommt in diesem Jahr viel weniger Vorweihnachtsaufträge als im letzten, aber eine ganz bestimmte Wolle, deren Muster sie beilege, möge er doch beschaffen. Alle sind sehr beschäftigt, nur Kapellmeister Hans Richter hat offenbar nichts zu tun, weshalb er täglich Trompete übt. Er kann nicht Trompete spielen, darum ist die Hausfrau böse auf den Dauergast, der gleich Kapellmeister in Budapest werden soll. Wenigstens gießt er nicht mehr die Wege vorm Haus, um eine »ewige Eisbahn« anzulegen. Wahrscheinlich freut sich Richard Wagner über den Tadel, der ihn nicht trifft. Er hat großen Respekt vor Cosimas Missfallen, eben erst träumte er, sie habe ihn »streng behandelt«, davon ist er aufgewacht. Es ist sehr gut, dass Richter noch nicht in Ungarn ist, denn er selbst hätte kaum einfach so nach Zürich fahren können, um dort 15 Musiker ausfindig zu machen, die keine Lust haben, Weihnachten zu Hause zu verbringen. Richter fuhr, was Cosima freute wegen des trompetenfreien Tags. Die Noten haben die Züricher schon, sie üben.
Richard Wagner mag sich doch ein wenig schämen für seinen Huldigungsmarsch. Andererseits darf sich niemand beklagen, wenn zu seinem Geburtstag die Musik gespielt wird, die er selbst komponiert hat. Doch zu Cosimas Geburtstag, er weiß das sehr wohl, passen keine Märsche, keine Huldigungen. Etwas unendlich Zartes muss er erfinden; er gedenkt sich selbst in den Schatten zu stellen.
Am 21. Dezember reist der Lehrling des lästigen Blasinstruments wieder nach Zürich, und Richard Wagner überlegt laut, was seine Frau wohl durchgemacht habe, als sie heimlich Musiker bestellte, ihn zu überraschen. Wir lieben uns zu sehr, um irgendetwas zu verheimlichen, erklärt er ihr, und sie gesteht ihre tiefe Beschämung über vergangene Falschauskünfte. Wahrscheinlich sucht er Kraft für die nächste Lüge, und es ist gleich eine doppelte. Friedrich Nietzsche erhält am 23. Dezember ein Telegramm von Richard Wagner, er soll morgen bloß nicht gleich nach Tribschen gehen, sondern ins Hotel du Lac kommen. Konzertprobe! Also müsse er um drei da sein, aber unbedingt nach Tribschen melden, er komme erst um fünf.
Der Meister probt. Am Nachmittag des 24. Dezember im Hotel du Lac hört Friedrich Nietzsche zum ersten Mal das kleine Stück Musik, das ihm immer das liebste Wagners und das schönste auf Erden bleiben wird. Vor Tönen wie diesen enden jeder Einwand und alle Polemik, und Friedrich Nietzsche wird sich genau dort wiederfinden, wo er einst begann: Ich bringe es nicht übers Herz, mich dieser Musik gegenüber kritisch kühl zu verhalten.
Um fünf Uhr fahren beide nach Tribschen hinaus, von der Höhe der Einsiedelei sehen sie es daliegen, und Richard Wagner könnte sich den Satz seiner Frau ausborgen, den sie vor genau einem Monat ihrem Tagebuch anvertraute: In »dies Haus, das alles birgt, was ich liebe, heimkommen, ist eine göttliche Empfindung« 214 . Abends um sieben wird der Baum angezündet.
Nietzsche schenkt Richard Wagner zu Weihnachten ein längst gewünschtes Lieblingsblatt Albrecht Dürers: »Ritter, Tod und Teufel«. Es erinnert merkwürdig an seine frühe Antwort auf die Frage: Warum ausgerechnet Wagner? Mir behagt an Wagner, was mir an Schopenhauer behagt, die ethische Luft, der faustische Duft, Kreuz, Tod und Gruft etc. 215 , hatte er damals bekannt. Cosima bekommt seine Untersuchung
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