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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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allem.
    Bei E. T. A. Hoffmann bewirbt sich noch eine weitere Weiblichke it um die Liebe des Studenten, es ist Fräulein Veronika Paulmann aus der Pirnaer Vorstadt, Tochter des Konrektors Paulmann. Wir erwähnen das an dieser Stelle nur, um die Präzision E. T. A. Hoffmanns beim Erfassen des Lebensschicksals Friedrich Nietzsches hervorzuheben: Die nicht geistursprünglichen Fräulein Veronikas aus den Pirnaer Vorstädten, die den Anselmus in seiner Eigenschaft als Hofrat (Hoffmann) bzw. Professor heiraten wollen, werden bei ihm genau jene Chance haben wie vom Autor beschrieben: »Höre es Alte und verzweifle! Trotz biete ich deiner Macht, ich liebe ewiglich nur Serpentina – ich will nie Hofrat werden – nie die Veronika schauen …! – Kann die grüne Schlange nicht mein werden, so will ich untergehen in Sehnsucht und Schmerz!« Doch vorerst kopiert Anselmus nur die Akten des Archivarius, oder, wie Cosima vielleicht sagen würde: Er »dehnt R.’s Ideen aus«.
    Cosima ist, wie alle Anwesenden längst ahnen, die »Feuerlilie«, erblüht aus einem schwarzen Hügel in der Mitte des Weltanfangstals, »der hob sich auf und nieder wie die Brust des Menschen, wenn glühende Sehnsucht sie schwellt«. Als aber der »reine Strahl … den schwarzen Hügel berührte, da brach im Übermaß des Entzückens eine herrliche Feuerlilie hervor …« Der Archivarius ist eben dabei, Veronikas Vater und anderen Bürgern Dresdens, die die Wirklichkeit für das Wirklichste über haupt halten, die Geschichte der Feuerlilie zu erzählen, als er jäh unterbrochen wird: »›Erlauben Sie, das ist orientalischer Schwulst, werter Herr Archivarius!‹, sagte der Registrator Heerbrand«, worauf der Archivarius versichert, selbst aus eben jenem Tale zu stammen und die Feuerlilie sei seine »Ur-ur-ur-ur-Großmutter«.
    Als die Hoffmann-Exegeten am 27. Dezember den »Goldnen Topf« unterbrechen, um schlafen zu gehen, nimmt Richard Wagner seine Frau gar nicht wie eine Ur-ur-ur-ur-Großmutter in die Arme und sagt: »Ich will keine Veränderung, ich will nur, daß es ewig so bleibe.« 219 Der Professor will das auch. Zu diesem Zeitpunkt der Lektüre befindet er sich wohlverkorkt auf dem Regal des Archivarius, neben ihm noch weitere »fünf Flaschen …, in welchen er drei Kreuzschüler und zwei Praktikanten erblickte«. Im Unterschied zu ihm halten die drei Kreuzschüler und zwei Praktikanten das Dasein in einer Flasche für das Leben selbst.
    Jede Kunst ist Weltverdoppelung, das Denken ist es am Ende auch. Nietzsche weiht nun auch die Tribschener in seinen Plan ein, in Bayreuth eine neue griechische Akademie zu gründen, gewissermaßen als Parallelunternehmen des Geistes zur Kunst.
    Am Nachmittag des 28. Dezember spielt Hans Richter für Cosima und Nietzsche aus »Tristan«, dann lesen sie weiter den »Goldnen Topf«. Es sei – mit Rücksicht auf Späteres – erwähnt, dass es dem Studenten gelingt, sich aus der Flasche und den unmittelbaren Diensten des Archivarius zu befreien und die grüngoldene Schlange zu gewinnen. Der Goldne Topf ist die Mitgift, erworben ganz so wie der Archivarius prophezeit hatte: »Aber nur dem Kampfe entsprießt dein Glück im höheren Leben.« Doch auch im neuen Leben ohne den Archivarius wird dieser doch immer gegenwärtig bleiben und das tun, worum er bei Hoffmann den Autor des »Goldnen Topfes« bittet, dieser möge nur seinen Punsch genießen, angezündeten Arrak mit Zucker: »Nippen Sie was weniges davon, ich will gleich meinen Schlafrock abwerfen und zu meiner Lust, und um, während Sie sitzen und schauen und schreiben, Ihrer werten Gesellschaft zu genießen, in dem Pokale auf- und niedersteigen.«
    Im Augenblick hat Richard Wagner noch keine Muße zu solch kontemplativer Bewegung. Am vorletzten Tag des Jahres meldet sich sein Verlag und bestellt einen »Krönungsmarsch«. Einen Krönungsmarsch für 1500 frcs., aber schnell, schnell! Gleich wird Wilhelm I. deutscher Kaiser. Wenn sie nicht gerade den »Goldnen Topf« lesen, trägt Richard Wagner den »Tristan« vor und Richter spielt ihn. Der Komponist des »Tristan« kann keine Märsche komponieren, er weiß es, alle wissen es. Und schon gar nicht auf Bestellung. Eine Trauermusik für die Gefallenen wollte er schreiben. Doch die passt, befand der Verlag, nicht in die Stunde des Sieges. Die Stunde des Sieges ist laut. Laut ist der minderbegabte Militärmusiker auch, sogar, wenn er den »Tristan« vorliest. Am Abend des 29. Dezember ist er bereits im dritten Aufzug:

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