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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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sei. Der Autor lehnt protestierend ab. Dann lehnt die Versammlung den »Mahnruf an das deutsche Volk« ab, artig, aber bestimmt, »die Vereine fühlen sich nicht berechtigt zu der kühnen Sprache« 315 . Richard Wagner ist sehr wütend, jedoch ohnmächtig. Immerhin ist da noch ein Professor, der hat auch einen Aufruf entworfen. Friedrich Nietzsche schlägt vor, der Aufruf des Professor Stern möge so schnell als möglich das Stadium des Entwurfs verlassen. »Bericht und Aufruf«, das klingt doch gleich viel moderater. Wer Bericht erstattet, neigt sich. Das ist gut. Die Delegierten wählen »Bericht und Aufruf« des Professor Stern.
    Allerseelentag. Cosima geht zu Beichte und Abendmahl: »Gemeinsamkeit mit allen, den Abgeschiedenen, den Geschiedenen, den Verschiedenen; mit denen die ich kränkte, mit denen die mich kränkten, mit den Niedrigen und Hohen« 316 ! Gemeinsamkeit auch mit gescheiterten Bußpredigern!, beschließt ihr Mann und schickt Friedrich Nietzsche seine Gesamtausgabe:
    Was ich mit Noth gesammelt,
    neun Bänden eingerammelt,
    was darin spricht und stammelt,
    was geht, steht oder bammelt, –

    Schwert, Stock und Pritzsche,
    kurz, was im Verlag von Fritzsche
    schrei’, lärm’ oder quietzsche,
    das schenk ich meinem Nietzsche, –

    wär’s ihm zu was nütze! 317
    Aber nicht nur die Gesamtausgabe soll er bekommen, auch einen Leser, und nicht den geringsten. Am 6. November schreibt Richard Wagner an seinen König:
    »Heute sende ich Ihnen zwei Aufrüfe für Bayreuth. Der erste (im Probedruck mitgetheilte) ist ein Bericht und Aufruf, im Namen der Richard-Wagner-Vereine von deren, kürzlich hier versammelt gewesenen, Delegirten erlassen. Der zweite rührt von einem ausgezeichneten Freunde her, welcher für seinen Mahnruf bedeutende Unterschriften aus allen Ständen zu gewinnen bemüht ist. … Meine Freunde wenden sich an das deutsche Volk. An wen habe ich mich zu wenden, wenn ich den Ruf meiner Freunde unterstützen, und namentlich im edelsten, richtigsten Sinne mein Werk fördern will? Ich kenne nur meinen König und Herren, durch dessen Gnaden ich einzig bis hierher gediehen bin! Ich wende mich an meinen hochgeliebten Freund, den innigsten Mitwisser meines Werkes, dem ich Nichts, Nichts erst zu erklären habe, weil mein Werk Sein eigenes Werk ist.« 318 Welch wohlberechnete Demagogie! Denn für sein eigenes Werk ist man verantwortlich. Ein Absatz noch, und Richard Wagner ist bei dem alles entscheidenden Satz: »Nun richte ich diesen Aufruf an Sie, mein König! … Ich richte ihn an Den, der mir einst zurief: ›Vollende dein Werk; Mein sei die Sorge, es würdig der Welt zu zeigen!‹« Richard Wagner setzt alles auf eine Karte. Er spricht den Wunsch aus, »nach so langen Jahren den Herren meines Lebens wieder … begrüssen« zu dürfen. Wenn möglich, in einer Woche schon.
    Aber der König gewährt keine Audienz.
    Der König übernimmt auch keine Bürgschaft für Bayreuth. Er gibt kein Geld, aber er verleiht Richard Wagner einen Orden, den Maximiliansorden für Kunst und Wissenschaft.
    Zum Jahresende bekommen viertausend deutsche Buch- und Musikalienhändler »Bericht und Aufruf« des Professor Stern samt Subskriptionsliste. Nicht »ein einziger dieser Viertausend nahm die geringste Notiz von der Sendung! und einzig und allein in Gießen haben einige Studenten ein paar Taler gezeichnet!« 319

»Folge nicht mir, folge
dir nach!« (Nietzsche)
    »Er muß heiraten oder eine Oper schreiben!«
    Zu Beginn des neuen Jahres denkt Friedrich Nietzsche über Richard Wagner nach, anders als bisher.
    Zu Beginn des neuen Jahres denkt auch Richard Wagner über Friedrich Nietzsche nach, anders als bisher.
    Beide überlegen, warum es mit dem je anderen ein böses Ende nehmen muss. Der Unterschied: Richard Wagner wird den Freund von seiner Diagnose in Kenntnis setzen.
    An Bayreuth wage ich gar nicht mehr zu denken, denn sonst ist es mit aller Nervenerholung zu Ende, teilt Friedrich Nietzsche Freund Gersdorff Mitte Januar mit. Er war zum Jahresende wieder nicht in Bayreuth gewesen, aber diesmal entgegen seinem eigenen entschiedenen Vorsatz. Er war zu krank, um zu reisen. Er ist noch immer krank, und der Gedanke an Bayreuth macht ihn noch kränker. Aber er kann nicht anders. Immer wieder umspinnen die Fäden seines Bewusstseins diesen Ort, er hält sie nicht in der Hand, niemand kann das. Und die nehmen wie von selbst eine Form an, über die er erschrickt: Der Bußprediger der Nation untersucht, ob vielleicht nicht

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