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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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soll. Uns ist dieser Gedanke unsäglich wohlthuend, die Stätte genau zu kennen und täglich zu pflegen, die uns zur göttlichen Ruhe empfangen soll.« 310 Auf diese Meldung hatte der König heftig reagiert: »Erdrückend, ja niederschmetternd ist für mich der Gedanke an Ihren Tod, Sie wissen es, in Hohenschwangau sprachen Wir davon.« 311 Diese Wirkung ist insofern nicht erstaunlich, da sich Ludwig vorgenommen hatte, Richard Wagner nicht zu überleben. So bald also? Aber auch diesen Ehrgeiz betreffend steht nun also die Frau zwischen ihnen, die dasselbe plant. Ludwig grüßt »in heiliger, von Gott in meine Seele gelegter Liebe, bis zum letzten Hauche, bis hinüber in jene Welten Ihr getreues Eigen Ludwig«.
    Aber so eilig hat es Richard Wagner nun doch nicht. Es würde vorerst schon lebensverlängernd wirken, wenn Ludwig für Bayreuth bürgt. Selbst um das Jahr 1875 einhalten zu können, müssten dringend »Capitalien aufgenommen« werden. »Herr Feustel ist der Meinung, daß es sich bei der Aufnahme einer Anleihe um keinerlei Schwierigkeit handele, sobald eine gewichtige, wenn auch nur formelle Garantie erlangt werden könnte«, welche nur »von moralischer, keineswegs materieller Bedeutung sein sollte«. Kann er deutlicher werden?
    Das Hofsekretariat lehnt ab.
    Nun ist Friedrich Nietzsche dran. Wenn schon der König sich nicht mobilisieren lässt, so müsse jetzt, gewissermaßen als letztes Mittel, die Nation mobilisiert werden, und keiner ist dazu berufener als der Autor der »Geburt der Tragödie«, meint der Gründer des ersten Wagner-Vereins. Der Angerufene ist geehrt und beunruhigt zugleich. Im letzten Sommer, in seinem »Tristan«-Überschwang hatte er einen solchen Aufruf schreiben wollen, gänzlich unaufgefordert, aus innerster Seele, aber das Resultat war ernüchternd. Ein unmögliches Stück Literatur. Er konnte das nicht. Und jetzt muss er, er sieht das ein. Er bittet Rohde um Mithilfe. Rohde antwortet, ihm »stocke … alle populäre Kraft sprache«. Und es sei so »abscheulich schwer«, schon weil die Sache , wie sie beide wüssten, völlig aussichtslos sei. Nein, Rohde kann nicht.
    Friedrich Nietzsche kann eigentlich auch nicht. Eben erst, im September, hat er seinen ersten längeren eigenhändigen Brief seit einem halben Jahr geschrieben, an den geliebten Meister natürlich, und der erschrak nicht wenig über die vertraut-fremde, plötzlich so ungelenke Handschrift. Die Augen! Der Arzt hatte ihm Lesen und Schreiben strikt untersagt. Nun geht es wieder, auch wenn es ihn schnell erschöpft und Schmerzen macht.
    Friedrich Nietzsche hatte sich schon als Patron wie jeder andere zur Patronatsversammlung im Oktober angemeldet, um zugleich die Rechte von drei anderen Patronen (Gersdorff Rohde und meine Schwester) stellvertretend auszuüben. 312 Nun wird er also der Patron sein, welcher …
    Aber was? Aber wie?
    Es handelt sich um eine heroische Aufgabe, und einer solchen auszuweichen, sieht sich Friedrich Nietzsche außerstande. Wie oft hatte er oberster Öffentlichkeitsarbeiter Bayreuths werden wollen, nun ist der Zeitpunkt da, und es ist, gewissermaßen, der letzte.
    Zum ersten Mal nimmt er in aller Öffentlichkeit die Pose des Predigers ein, und er predigt, was alle Prediger predigen seit Anbeginn der Welt, Buße und Umkehr:
    Mahnruf an die Deutschen.
    Wir wollen gehört werden, denn wir reden als Warner und immer ist die Stimme des Warners, wer er auch sei und wo sie auch immer erklinge, in ihrem Rechte. 313 Was für ein unbewiesener Anfang! Doch welcher Prediger sah sich je verpflichtet, etwas zu beweisen? Und wer ist eigentlich »wir«? Die Patronatsversammlung, natürlich, aber eine Predigerversammlung ist viel weniger als ein einzelner Prediger, Friedrich Nietzsche könnte das wissen. Er wollte nicht Kanzelredner werden wie sein Vater, dabei bemerkt er augenblicklich alle Vorteile des Kanzelrednertums, neben der Beweisfreiheit auch die legitime Herablassung. Ihr, die ihr angeredet werdet, nennt er sein Publikum und gesteht diesem ebenfalls ein Recht zu, nämlich das Recht, euch zu entscheiden, ob ihr eure Warner als ehrliche und einsichtige Warner nehmen wollt, die nur laut werden, weil ihr in Gefahr seid und die erschrecken, euch so stumm, gleichgültig und ahnungslos zu finden. Wer ist in Gefahr? Die, die ihr angeredet werdet oder nicht doch Bayreuth? Der Mahner ist nicht unbegabt. Es ist euch gemeldet worden, welches Fest im Mai des vorigen Jahres zu Bayreuth gefeiert wurde: einen gewaltigen

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