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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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sollte seine »Rückkehr zu den Menschen« beginnen, doch sie wird sein endgültiger Abschied von den Menschen sein. 469 Alle Gewaltsamkeiten, Verhärtungen, Grausamkeiten in Nietzsches Werk lassen sich datieren: post Lou. Aber auch der Dichter Nietzsche beginnt erst jetzt zu reden, gültig zu reden.
    Er muss heiraten oder eine Oper schreiben, hatte Wagner gesagt. Er hat es getan, Letzteres. Er hat es wie Wagner gemacht, er hat sich selbst überstanden. Es ist kein höheres Bonmot, dass er noch im »Ecce homo« fordern wird, den »Zarathustra« unter die Musik zu rechnen. Friedrich Nietzsche muss das Ergebnis nur noch abschicken. Nun muß ich diesmal, teilt er seinem Verleger mit, auf Äußerlichkeiten besonderen Werth legen, weil dieses Buch an der Spitze meiner bisherigen Bücher erscheinen soll. Bei ganz gleichem Formate und Drucke bitte ich um eine schwarze Linie, welche den Text jeder Seite einfasst: so ist es einer Dichtung würdiger. 470 Eine schwarze Linie. Aber es ist doch kein Trauerfall.
    Wer ein Werk beendet hat, darf Ferien machen, einen Tag wenigstens. Darum ist er in Genua. Größere Städte haben die größeren Postämter, sie haben auch die größeren Zeitungen; die Abendnummer des »Caffaro« wird ausgerufen. Er kauft sie, wider meine Gewohnheit. … Mein erster Blick fällt auf das Telegramm aus Venedig.
    Woran starb Wagner? 471
    Wahrscheinlich liest er die wenigen Zeilen immer wieder. Er war dem Ende so nah, näher als je zuvor, aber am Ende stirbt nicht er, sondern Wagner stirbt. Sollte das – gesetzt den Fall, er überlebt diese Nachricht – kein Zeichen sein?
    Zarathustra übersteht Parsifal. Ist es nicht so?
    Aber das hat Zeit.
    Langsamer siegen.
    Zuerst muss diese Stunde die der Versöhnung sein, der postumen Versöhnung. Wenn er ihn rufen würde, wenn er ihn brauchen würde, würde er kommen. Er hat es oft gesagt: Dies wäre meine Schwäche. Jetzt kann Cosima nicht nach ihm rufen, jetzt muss er kommen. Würde Cosima ihn nun nicht brauchen, müsste sie ihn jetzt nicht verstehen, in dieser Stunde, wo alle Kleinlichkeit endet, und Erdenfeindschaften gehören dazu, die zuallererst?
    Friedrich Nietzsche wird gewusst haben, dass Cosima nicht beabsichtigte, ihren Mann zu überleben. Sie waren drei, die ihren Abgrund immer bei sich trugen. Die Ersthörer der »Treppenmusik«. Jetzt sind sie nur noch zu zweit. Müssen sie sich jetzt nicht die Hände reichen, sich gegenseitig halten?
    Cosima bleibt bei dem Toten, um nie wieder aufzustehen. Als ihre Kinder sie in der Nacht des 13. Februar mahnten, sie müsse schlafen, antwortete sie: »Wenn ihr wollt, daß ich zu Bett gehe, will ich es thun, nur legt ihn neben mich.« Isolde und Daniela halfen ihrer Mutter bei der Abendtoilette, der Tote wurde in sein Bett gebracht, Cosima legte sich neben ihn, küsste ihn, barg den Kopf an seine Schulter und hörte hinaus in den Sturmregen auf dem Canal Grande. Sie hoffte, sie würde mit untergehen. Und selbst wenn nicht: Sie würde bei ihm bleiben. Gemeinsam sterben. Niemand hat es so komponiert wie der Tote neben ihr. Sie kennt jede Note, es kann nicht schwer sein. Sie war bereit. Ein neuer Tag begann, entgegen all ihrem Empfinden für Schicklichkeit, ja für Wirklichkeit. Die Töchter baten sie aufzustehen. Richard Wagner verlassen? Niemals. Vielleicht liegt sie noch bei ihrem Mann, als Friedrich Nietzsche in Genua den »Caffaro« kauft.
    Vielleicht richtet Friedrich Nietzsche seinen Brief genau an die Frau, die nicht mehr vorhat, Briefe zu lesen:
    S ie haben Einem Ziele gelebt und ihm jedes Opfer gebracht; über den Menschen hinaus empfanden Sie das Ideal dieses Einen, und ihm, welches nicht stirbt, gehören Sie, gehört Ihr Name für immer. Wie der meine, könnte er anfügen. … und über die Liebe jenes Menschen hinaus erfaßten Sie das Höchste, was seine Liebe und seine Hoffnung erdachten: Dem dienten Sie, Dem gehörten Sie und Ihr Name für immerdar – dem was nicht mit einem Menschen stirbt, ob es schon mit ihm geboren wurde.
    So sehe ich heute auf Sie, und so sah ich, wenn gleich aus großer Ferne, immer auf Sie, als auf die bestverehrte Frau, die es in meinem Herzen giebt. Es sind Versuche zu einem Brief, die er da niederschreibt, sie werden immer mehr zu Bruchstücken, unverbunden und doch um so beredter:
    weiß ich nicht anders zu thun als ich es früher that
    …
    bis zum letzten Blutstropfen sich vergeben und ohne Schonung so – – – 472
    Am Nachmittag des 14. Februar entfernt der Arzt Richard

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