Night Academy 2
versammelt hatte. Dann streckte er seine riesigen Gorillaarme ins Zelt, und ich wehrte mich auf die einzige Weise, die ich kannte – ich stieß ihn mit aller Macht weg. Er flog aus dem Zelt und verschwand in der Dunkelheit. Bei unserer Paintballübung hatte sich herausgestellt, dass ich leider nur kontrollieren konnte, was ich auch sah. Keine Ahnung, ob sich Thaddeus im Dickicht der Bäume das Genick gebrochen hatte oder vollkommen unversehrt geblieben war.
Mir blieb allerdings nicht viel Zeit, mir darüber Sorgen zu machen, denn es warteten noch vier weitere Leute auf uns. Zunächst konzentrierte ich mich auf das Mädchen, das mir am nächsten stand, es war der wirbelnde Derwisch. Ich kniff die Augen zusammen und stand kurz davor, sie durch die Luft zu schleudern, da stürzte sich ein weiteres Mädchen auf mich und drückte mich nach hinten auf meinen Schlafsack.
Ich konnte nicht viel Widerstand leisten. Trotz bester Vorsätze hatte ich im Nahkampf noch keine nennenswerten Fortschritte gemacht. Binnen Sekunden hatte sie mich mit dem Gesicht zum Boden gedreht und in die Beinklemme genommen. Es war die fiese Ballerina, ihre knochigen Ellenbogen hätte ich überall erkannt.
Cam und ich hatten nur den Vorteil, dass der Schlitz im Zelt zu schmal für mehrere Angreifer war. Bevor also jemand anderes eingreifen konnte, warf sich Cam auf die Ballerina, und die beiden kugelten über meinen Kopf hinweg aus dem Zelt. In dem Moment bemerkte ich die unheimliche Schwere in der Luft, als würden alle Geräusche ringsum erstickt. Als ich schreien wollte, kam kein Ton heraus. Ich spürte zwar den Luftstrom durch Lunge und Mund, aber meine Stimme wurde verschluckt, bevor sie nach draußen dringen konnte.
Ich kroch aus dem Zelt, der Nacken tat mir weh von dem Schwitzkasten, in den mich die Ballerina genommen hatte. Es war ein eigenartiges Gefühl, überhaupt nichts zu hören: weder das Rascheln des Schlafsacks noch die Geräusche beim Verlassen des Zelts. Selbst meine Atmung war lautlos.
Im Sternenlicht konnte ich die anderen Angreifer erkennen. Vielleicht hielten sich weitere hinter den Bäumen versteckt, doch ich sah nur vier: die Ballerina, den Derwisch, den Akrobaten, der damals Geneva den Arm gebrochen hatte, und einen Jungen, den ich nicht kannte. Womöglich war er es, der mit seiner Gabe alle Laute erstickte.
Während Cam mit der Ballerina beschäftigt war, stürzten sich die anderen drei auf mich. Ohne mit der Wimper zu zucken, bediente ich mich aller Techniken, die ich in den letzten Monaten gelernt hatte. An mich kam keiner heran. Ich stellte mir vor, dass die Erde sie wie zentnerschwere Säcke anzog, und sie krachten wie Dominosteine ineinander.
Gern hätte ich Cam geholfen, aber ich hatte meine Kräfte noch nie gegen jemanden eingesetzt, der so nah an einem anderen dran war. Im Wechsel fassten sie einander wie bei einem merkwürdigen Tanz, wo jeder mal führen durfte. Die Ballerina stieß mit den Ellenbogen nach Cam, konnte aber keinen direkten Treffer landen. Cam war einfach zu schnell. Allerdings hatte Cam bislang auch keinen nennenswerten Schaden angerichtet. Wahrscheinlich sprach es schon für seine Fähigkeiten, dass er überhaupt mithielt.
Nach wie vor übte ich Druck auf die drei am Boden aus. Vielleicht waren sie vom Sturz ohnehin verletzt, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Cam konnte ich allerdings auch nicht dauerhaft sich selbst überlassen. Offenbar hatte er es mit einer Gegnerin aufgenommen, deren Begabung darin bestand, wie ein Berserker zu kämpfen und dabei auch noch schön und elegant auszusehen. Am Valentinstag hatte sie Kari die Rippen gebrochen, ohne selbst auch nur einen Kratzer abzubekommen. Gerade kam es mir so vor, als würde sie sich zurückhalten, um den passenden Moment abzuwarten, Cam mit ihren Kräften zu überrollen.
Ich straffte die Schultern und wappnete mich für einen Angriff. Befreite meinen Kopf von allen unnötigen Gedanken, hielt die drei am Boden und konzentrierte mich auf die Ballerina. Wenn ich ganz behutsam vorging, könnte ich an ihrem Kopf oder Arm ziehen, sodass sie abgelenkt war und Cam einen Treffer landen konnte.
Ein ausgezeichneter Plan, wie ich fand, doch bevor ich ihn in die Tat umsetzen konnte, wurde ich so hart zu Boden geworfen, dass alle Luft aus meinen Lungen wich. Es war Thaddeus, sein rundes Kindergesicht war zu einer schadenfrohen Grimasse verzerrt. Irgendwie war es ihm gelungen, zurückzukommen.
Und er hatte Freunde mitgebracht.
Fünf Gestalten
Weitere Kostenlose Bücher