Night Academy 2
war bereit zu kämpfen. Auf einmal sah ich alles glasklar. Bei dem Programm ging es weder um Mr Judan noch um die Wächter oder den Hohen Rat. Es ging um mich. Ich war das Programm. Ich und Esther und Hennie, Cam und Trevor, Barrett und sein Dad. Es war unser Programm, und ich würde nicht zulassen, dass ein Krebsgeschwür in seinem Inneren die Macht ergriff; genauso wenig würde ich zulassen, dass der Hass der Irin die Geschicke der Welt bestimmte.
Jack machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung. »Dann stehen wir von jetzt an auf verschiedenen Seiten. Für alles Folgende bin ich nicht mehr verantwortlich.«
»Jack, lass nicht zu, dass sie Cam wehtun.« Beinahe hätte ich ihn berührt, doch seine Augen waren so voller Hass, dass ich zurückschreckte. »Er hat dich laufen lassen. Hat dir das Leben gerettet. Weißt du noch?«
»Thad hätte ihn am liebsten gleich umgebracht. Ich habe ihn davon überzeugt, dass er uns lebendig mehr nützt. Damit habe ich meine Schuldigkeit getan.«
»Du bist doch eigentlich gar nicht so.« Ich schüttelte die Angst ab, die mich bei seinen gleichgültigen Worten überkam. »Ich kenne dich doch.«
Er zuckte die Achseln. »Mr Judan hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Wird Zeit, dass er dafür bezahlt.«
Dann kehrte er mir den Rücken zu und lief den anderen hinterher.
30
I ch brauchte einen Moment, um den Kopf freizubekommen. Dann rannte ich hinterher. Jack musste trainiert haben, denn er war nie ein besonders guter Läufer gewesen, und jetzt lief er mir mit Leichtigkeit davon. Nur mit Mühe blieb ich ihm im Wald auf den Fersen. Wäre ja schön gewesen, wenn ich ihm einfach hätte hinterherfliegen können, doch nach den paar Minuten in der Luft war ich erschöpft. Jemand anderen schweben zu lassen, war schon anstrengend genug, aber mich selbst in die Luft zu befördern, schien doppelt so viel Energie zu kosten. Wenn ich also noch Kraft übrig haben wollte, um Cam zu retten, durfte ich meine Energie nicht mit Fliegen verschwenden.
Zum Glück war der Pfad nur einen knappen Kilometer lang. Unter Erdbeerbäumen und verkrüppelten Kiefern ging es halb um die Insel herum, dann wand sich der Weg weiter nach Norden zum Hafen.
Kiefernnadeln und Stöckchen piekten unter meinen Fußsohlen, aber der kurze Lauf hatte mich schön aufgewärmt. Sobald ich den Hafen voll im Blick hatte, blieb ich stehen. Der Himmel wurde heller, und am Horizont zeigte sich ein rosa Wolkenmeer. Vom Pfad ging es steil hinunter bis ans Wasser, deshalb hatte man von oben einen guten Überblick. Ich hielt den Atem an, als mir vier Leute ins Auge fielen, die über einen Steg in eine benachbarte Bucht liefen. Die Gesichter konnte ich zwar nicht erkennen, aber einer von ihnen trug einen schlaffen Körper über der Schulter. Sie steuerten direkt auf ein Schnellboot zu, das am Anleger festgemacht war.
Von den übrigen Gangmitgliedern war von meinem Standpunkt aus nichts zu sehen, aber sicher waren sie an Land zurückgeblieben. Wenn sie Cam erst an Bord brachten, würde ich ihn nie wiedersehen, an mehr konnte ich im Moment nicht denken.
Im Geiste griff ich nach dem Boot und drückte mit aller Macht das Heck herunter. Leider hatte das nicht den gewünschten Effekt, das Boot schaukelte nur leicht. Während des Unterrichts hatte ich immer nur mit Menschen und Ästen geübt, auf ein Boot war ich nicht vorbereitet. Ich versuchte es erneut, diesmal schwappte schon Wasser aufs Hinterdeck. Jemand fluchte, und dann ertönte Thaddeus’ Stimme: »Die setzt uns noch den Motor unter Wasser. Sucht sie, und haltet sie um jeden Preis von hier fern.«
Abermals schickte ich all meine Kräfte zum Heck, und diesmal machte das Boot einen Satz, wie ein Spielzeug, das man in der Badewanne unter Wasser drückt. Das Deck wurde geflutet, und eine der Bootsleinen riss. Das Boot geriet heftig ins Schaukeln, eine große Welle schwappte über den Anleger und riss einen Irin um.
Keuchend und knurrend kam eine Meute vom Hafen den Berg hochgerannt. Ich wusste nicht, wie »um jeden Preis« zu verstehen war, aber ich blieb auch nicht lange genug, um es herauszufinden. In der Hoffnung, genug Schaden am Boot angerichtet zu haben, um ihre Abfahrt zumindest zu verzögern, rannte ich zu unseren Zelten zurück.
Allmählich verstummten die Stimmen hinter mir. Und nach wenigen Minuten mündete der Pfad auch schon in die Lichtung, auf der wir unser Lager aufgeschlagen hatten. Ich blieb stehen, denn ich wusste nicht, an wen ich mich wenden sollte. Von den
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