Night Academy 2
leiten.«
Was hatten Mr Fritz und Mr Anderson ihm wohl erzählt? Hatten sie ihm erzählt, wie aufgewühlt ich nach dem Kampf gewesen war? Und dass ich geweint hatte? Hatte etwa Cam mich verpetzt? »Das werde ich nicht, Mr Judan. Ich bin einfach nur müde und erschöpft, weil ich dachte, ich hätte alle enttäuscht.«
Er hob mein Kinn mit einem Finger, sodass ich gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen. Seine Augen waren karibikblau mit silbernen Sprenkeln und sprühten nur so vor Energie. »Du würdest uns nur enttäuschen, wenn du aufgibst und davonläufst wie dein Freund Jack.«
»J-J-Jack?« Der Name kam mir kaum über die Lippen. Mein Handy lag auf dem Schreibtisch – wenn es nun in diesem Moment aufleuchten und klingeln würde? Wusste Mr Judan von dem Telefonat? Konnte er meine Gedanken lesen?«
»Du wirst nie so sein wie Jack.« Seine Augen durchbohrten mich. »Wir haben noch versucht, ihm zu helfen, aber da war nichts mehr zu machen. Jack wusste mit seiner Gabe nicht umzugehen. Du bist anders. Du bist stark. Vergiss das nie.«
Vor Angst und Scham wurde mir ganz heiß. Mr Judan sah mich unverwandt an, und ich hatte das ungute Gefühl, er könnte mir mitten ins Herz sehen. Worte kamen mir in den Sinn, meine und auch wieder nicht meine, als spräche ich innerlich mit fremder Stimme. Ich war nicht wie Jack. Jack war feige. Aus Angst vor etwas, was vielleicht nur in seiner Vorstellung existierte, war er weggelaufen. Mr Judan hatte es versucht, hatte Jack eine Chance gegeben, als dieser noch unter Brücken geschlafen und sich mit Diebstählen über Wasser gehalten hatte, doch Jack hatte ihn enttäuscht.
Mich hatte er ebenso enttäuscht.
Die Stimme hatte recht. Jack hatte der Night Academy den Rücken gekehrt, nicht umgekehrt.
Ich zog den Bauch ein und spannte sämtliche Muskeln an, um mich aufzurichten. »Ich werde Sie nicht enttäuschen, Mr Judan. Versprochen.«
Wenige Minuten später verließ mich Mr Judan, und ich sank erschöpft zurück aufs Bett. Das mit der Cafeteria konnte ich vergessen.
Man hatte mich überzeugt . Auch wenn ich so etwas noch nie zuvor erlebt hatte, musste es so gewesen sein. Eigentlich hätte ich total sauer sein müssen, aber das Schlimme war, dass ich Mr Judan nach wie vor Glauben schenkte. Die Vorstellung, Jack könnte über Informationen verfügen, mit denen man Hunderte von Menschen töten konnte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich hing wirklich an Jack und machte mir Sorgen um ihn. Doch wenn ich an den Moment seiner Flucht zurückdachte, den wild entschlossenen Blick in seinen Augen, zweifelte ich keinen Augenblick daran, dass er alles tun würde, um sich die Wächter vom Hals zu schaffen. Nur allzu gern wollte ich dennoch glauben, dass er nie jemanden umbringen würde, doch ganz ausschließen konnte ich es tatsächlich nicht.
Gerade als ich wieder ins Kissen zurücksank, kam Catherine herein. Wie immer funkelte sie mich böse an, doch diesmal mischte sich Verunsicherung unter die Feindseligkeit. »Was ist los? Ich bin Mr Judan im Gang begegnet, und er hat gesagt, dir ginge es nicht gut und ich solle dir etwas zu essen holen. Ich hoffe, du belästigst ihn nicht unnötig. Er ist ein viel beschäftigter Mann. Du kannst ihn nicht einfach so rufen lassen.«
Ich schloss die Augen. »Er ist vorbeigekommen, um etwas mit mir zu besprechen. Hatte wohl gehört, dass es mir nicht gut geht. War kein Ding.«
Für Catherine war es ein großes Ding, das wusste ich, deshalb verspürte ich einen kurzen Moment vergnügliche Rache. Catherine vergötterte Mr Judan, und nun hatte er mit mir gesprochen, dem Mädchen, das sie für den Schandfleck der Schule hielt.
Catherine setzte sich an den Schreibtisch und ordnete ihre ohnehin schon ordentlichen Unterlagen. »Was hat er denn schon groß mit dir zu bereden?«
»Ein … Projekt. Für meinen Schwerpunktunterricht.«
»Mr Judan?« Sie spielte mit einem silbernen Stift, ließ ihn durch die Finger gleiten. »Mr Judan gibt keinen Schwerpunktkurs. Das weiß ich, weil mein Vater ihn gebeten hat, mit mir zu arbeiten, und da hat er gesagt, das ginge nicht. Dafür sei er zu beschäftigt.«
Auch wenn ich Catherine liebend gern weiter gereizt hätte, fiel mir spontanes Lügen ungemein schwer, zumal man hinterher auch noch alle Fäden wieder zusammenkriegen musste. »Er unterrichtet mich nicht, er ist mehr ein … ähm … Berater. Mr Fritz ist mein Lehrer. Mr Judan wollte nur sichergehen, dass ich die Aufgabe auch verstanden habe.«
Der
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