Night Academy 2
nicht, wenn es ums Programm ging.
»Vielleicht war es ein wenig heftig, aber du wurdest auch provoziert. Ich hoffe, du verstehst die Notwendigkeit. Nichts liegt uns ferner, als dich zu gefährden oder gar zu verletzen.«
Probehalber ließ ich die Schultern kreisen. Sie taten weh, aber bewegen konnte ich sie noch. »Ich habe noch viel zu lernen. Das ist mir klar, Mr Judan.«
»Vielleicht schon.« Er nahm ein Foto von mir und Oma in die Hand und strich mit dem Daumen über unsere Gesichter. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob du auch weißt, wie entscheidend deine Ausbildung für das Programm ist. Du bist sehr wichtig für uns.«
»Ich?«
Mr Judan stellte das Bild wieder hin und durchbohrte mich mit seinem Blick. Panik überkam mich. Sonst sah er mich nie so an, und dieser Blick überwältigte mich beinahe. Ganz bewusst atmete ich ein und aus, so wie Barrett es mir für diesen Fall beigebracht hatte.
Mr Judans makellos weiße Zähne blitzten im Licht. »Ja, du. Natürlich ist dir bewusst, wie mächtig du bist. Das haben wir dir ja schon oft genug gesagt. Aber du solltest auch wissen, wie wichtig diese Stärke gerade jetzt ist, für die Night Academy und für die Welt.«
Nun half meine Atemübung auch nicht mehr. »Was meinen Sie mit ›gerade jetzt‹? Ist irgendetwas geschehen?«
»Cam hat mir berichtet, dass ihr euch über die Irin unterhalten habt.« Er wartete, bis ich zustimmend nickte und fuhr dann fort. »Und dass du erfahren hast, dass sie es waren, die in die Schule eingedrungen sind.«
»Aber doch nicht die Gruppe aus Seattle«, sagte ich, denn Jack hatte doch erzählt, die Zelle sei eigens gegründet worden, um Leute wie ihn zu beschützen. »Eine andere Zelle, nicht wahr?«
»Das nehmen wir jedenfalls an. Die Explosion, die du an jenem Abend gehört hast, war in Wirklichkeit nur ein lauter Knall, ausgelöst von einem Begabten dritten Grades. Berichten zufolge gehört ein Begabter mit diesen Fähigkeiten zur Washingtoner Zelle.« Als Mr Judan näher kam, schreckte ich unwillkürlich zurück. »Die Zelle aus Washington ist die gefährlichste von allen«, fügte er hinzu. »Die haben ein paar sehr mächtige Mitglieder, die unseres Wissens nach direkt mit Gregori, dem Anführer der Irin, zusammenarbeiten. Das Schlimme daran ist, dass am Abend der Aufnahmezeremonie mehrere Bücher gestohlen wurden. Darin ging es insbesondere um die Ausbildung von Erd- und Körperkräfte-Begabten. Wahrscheinlich befinden sich diese Bücher nun im Besitz von Gregoris besten Leuten.«
Nervös rieb ich mir die Arme. »Das sind doch nur Bücher. Was können die schon groß anrichten?«
Mr Judan zog ein schmales Bändchen aus seiner Manteltasche. »Wirf mal einen Blick hinein.« Auf einer vergilbten Seite war eine Frau abgebildet, die mit erhobener Hand vor einem Fluss stand. Der Fluss machte kurz vor ihr Halt und stieg wellenförmig wie Wasserdampf empor. »Maria Salvoretta berichtet hier von einer Frau, die die Gabe besitzt, Aggregatzustände zu verändern. Auf dieser Seite beschreibt sie, wie die Frau einen ganzen Fluss gen Himmel schickte. Die kalte Luft in der oberen Atmosphäre hat den Wasserdampf gefrieren lassen, und kurz darauf wurde die gesamte Gegend von einem schrecklichen Hagelsturm heimgesucht. Hunderte von Menschen starben, alle Höfe und Felder im Umkreis wurden zerstört.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand so etwas tun würde«, flüsterte ich.
Rasch klappte Mr Judan das Buch wieder zu. »Sie haben es aber getan und können es jederzeit wieder tun. Die gestohlenen Bücher könnten den Irin eine Anleitung dazu liefern, eine Anleitung, die sie bislang nicht hatten.«
Aggregatzustände.
Hunderte von Toten.
Jack.
Schwankend kam ich auf die Beine und hielt mich am Schreibtisch fest. »Können wir die Bücher zurückbekommen?«
»Das haben wir schon versucht«, sagte er. »Nun ist es dafür zu spät. Aber die Bücher sind nur so gut wie die Lehrer, die sie lesen und in die Praxis umsetzen. Wenigstens glauben wir, dass es sich so verhält. Doch offen gesagt, ist so etwas noch nie zuvor passiert.«
»Wie kann ich helfen?« Inbrünstig hoffte ich, dass er mir sagen würde, sie bräuchten mich im Kampf gegen die Irin.
»Du musst mit deiner Ausbildung weitermachen. Ich weiß, dass du einen schweren Tag hinter dir hast, und es werden wohl noch mehr schwere Tage folgen. Aber du darfst nicht aufgeben. Vielleicht wirst du eines Tages Großes bewirken. Lass dich nicht von Wut und Enttäuschung
Weitere Kostenlose Bücher