Night School 01 - Du darfst keinem trauen
Rothaarige in nüchternem Tonfall, so als würde sie die Nachrichten des Tages vorlesen.
»Soweit ich weiß, ja«, erwiderte Allie zurückhaltend. »Und wer bist du?«
»Katie.« Keiner von den anderen sagte seinen Namen.
Allie wand sich unter den Blicken ihrer Tischgenossen und fühlte sich genötigt, die peinlichen Gesprächspausen zu füllen. Aber Small Talk war noch nie ihre große Stärke gewesen.
»Die Schule ist ja echt … riesig«, stöpselte sie herum. »Und das Gebäude find ich irgendwie gruselig.«
»Ach ja?«, fragte Katie. Sie klang verblüfft. »Ich finde es schön. Meine ganze Familie ist hier zur Schule gegangen. Waren deine Eltern auch hier?«
Allie schüttelte den Kopf. Katie zog ihre perfekten Augenbrauen hoch, und die beiden Mädchen, die neben ihr saßen, tuschelten miteinander.
»Das ist ja seltsam.«
»Wieso ist das seltsam?«, fragte Allie.
»Die meisten von uns sind schon in der x-ten Generation hier, zum Beispiel ich und Sylvain, und Jo auch – wir gehören alle zum Schuladel.«
Allie war verwirrt. »Wer ist Jo?«
Katie sah sie irritiert an. »Das Mädchen, mit dem du reingekommen bist.«
»Miss Sheridan.« Eine dröhnende Stimme schnitt Katie das Wort ab. Allie fuhr herum. Die Stimme gehörte einem Mann mit schütterem Haar, der in etwa so alt aussah wie ihr Vater. Er war ziemlich groß – deutlich über eins achtzig –, und trotz seines schlabbrigen Anzugs stand er mit beinahe militärischer Haltung da. Unwillkürlich setzte Allie sich aufrechter hin. Im Saal wurde es still.
»Sind Ihnen die hiesigen Regeln hinsichtlich der Mahlzeiten erklärt worden?« Der Blick, mit dem er sie ansah, grenzte an Verachtung.
»Ja.« Allies Stimme zitterte leicht. Wie sie das hasste.
»Sämtliche Schüler haben vor Beginn der Mahlzeiten im Saal zu sein. Sie sind ein bisschen sehr knapp dran gewesen. Das gilt auch für Sie, Miss Arringford.« Er wirbelte herum und deutete auf Jo, die seinen Blick furchtlos erwiderte. Dann wandte er sich wieder Allie zu. »Dass mir das nicht wieder vorkommt. Wenn Sie das nächste Mal zu spät kommen, gibt es Arrest.«
Mit diesen Worten marschierte er davon. Im Saal war es so still, dass man seine Absätze klackern hören konnte. Allie starrte auf ihren leeren Teller. Sie spürte, dass alle Augen auf sie gerichtet waren. Ihre Wangen brannten vor Wut. Sie war zwei Sekunden zu spät gekommen. Er hatte kein Recht, sie deswegen vor der ganzen Schule zu demütigen.
Sie konnte es nicht glauben. Gerade erst angekommen, steckte sie schon wieder in Schwierigkeiten.
Als sie zu den Nebentischen schaute, bemerkte sie, dass Jo sie ansah. Ihre Blicke trafen sich kurz, Jo lächelte frech und zwinkerte ihr abermals zu, ehe sie sich wieder ihrem Gespräch zuwandte und lachte, als wäre nichts passiert. Allie beobachtete, wie ein Junge Jo über den Arm strich, worauf Jo ihren Kopf kurz an seine Schulter lehnte und dabei über irgendetwas lächelte, das er gesagt hatte.
Allie fühlte sich zugleich besser und schlechter.
Die anderen an ihrem Tisch unterhielten sich emsig miteinander und ignorierten sie demonstrativ. Bis auf Sylvain, der besorgt dreinsah.
»Wer war denn das?«, fragte sie und faltete ihre Leinenserviette, als wäre das Geschehene nicht weiter tragisch.
»Mr Zelazny«, sagte er. »Geschichtslehrer. Ein ganz Hundertprozentiger, hast du ja gesehen. Er sieht sich als Zuchtmeister der Schule. Ich würde gern sagen, dass du dir keine Sorgen machen musst, aber, ehrlich gesagt, solltest du es dir mit ihm nicht verscherzen. Er kann dir das Leben … sehr schwer machen. Wenn ich du wäre, würde ich in den nächsten paar Tagen früh zum Essen da sein. Er hat dich jetzt bestimmt auf dem Kieker.«
»Na toll«, sagte Allie resigniert.
Ich bin echt ein Glückspilz.
Ringsum erhoben sich die Schüler von den Tischen und verließen den Saal. Teller und Gläser ließen sie einfach stehen.
»Müssen wir nicht beim Abräumen helfen?«, fragte Allie überrascht.
Die Mädchen um Katie kicherten.
Katie sah verdutzt drein. »Natürlich nicht. Das macht das Personal.«
Allie wollte sich Sylvain zuwenden, doch der war schon weg. Das hatte noch mehr Gekicher und Geflüster von gegenüber zur Folge, aber davon hatte sie für heute wirklich genug, weshalb sie sich wortlos denen anschloss, die zur Tür gingen.
Sie fühlte sich müde und abgeschlagen. Was hätte sie nicht dafür gegeben, jetzt auf ihr Zimmer gehen zu können, ihren MP3-Player aufzusetzen und Mark und
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