Night School 01 - Du darfst keinem trauen
Kopf und versuchte würdevoll herunterzuschlucken, was ihr aber nicht gelang. Sie zuckte, als der Bissen nach unten wanderte. Zum ersten Mal meinte sie, ein Lächeln in Sylvains außergewöhnlichen Augen zu sehen.
»Nein … Ich meine, setz dich hin. Also … gerne.«
Ohne den geringsten Anflug von Verlegenheit setzte er sich neben sie. Er biss in ein Stück gebratenen Speck und fragte sie: »Wie war dein erster Abend? Ich hab im Aufenthaltsraum nach dir gesucht, aber du warst nicht da.«
Ihr Herz machte einen Sprung, und sie schaute entschlossen auf ihren Käse, damit Sylvain ihr die Freude nicht ansah. »Ich hatte ganz schön viel zu lesen gestern Abend. Ich dachte, ich lese lieber so viel wie möglich, bevor es heute losgeht, damit ich, na ja, vorbereitet bin. Auf den großen Tag und so.«
Er nickte und biss von seinem Toast ab. »Ich kann mich noch gut an meinen ersten Tag erinnern. Die hätten am liebsten, dass man sich alles auf einmal merkt. Was man hier an Infos bekommt, ist mehr …«, es war bezaubernd, wie er nach dem richtigen Wort suchte, »mehr groß als die Schule, wenn man das so sagen kann …«
Allie war hingerissen und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ich weiß genau, was du meinst. Es steht in keinem Verhältnis.«
»Ja, genau. Es steht in keinem Verhältnis.« Er erwiderte ihr Lächeln, und ihr Herz machte abermals einen Sprung.
Lass das, rief sie sich zur Ordnung. Er ist nur höflich.
Sie aßen eine Weile in einträchtiger Stille.
»Und ihr hängt also oft im Aufenthaltsraum ab?«, fragte sie schließlich. »Sieht ja ganz nett aus.«
Ganz toller Small Talk, Allie. Läuft ja wie geschmiert.
Sylvain schien es gar nicht zu bemerken. Er nippte an seinem Milchkaffee. »Abends sind die Leute meistens im Aufenthaltsraum oder in der Bibliothek. Im Sommer und wenn es warm ist, gehen viele aber lieber raus. Ich war gestern Abend auch draußen und habe Nacht-Krocket gespielt. Deswegen habe ich nach dir gesucht. Ich dachte, du wolltest vielleicht mitspielen.«
Allies Gabel stoppte auf halbem Weg zu ihrem Mund.
»Ihr habt nachts Krocket gespielt? Im Dunkeln?«
»So macht’s mehr Spaß. Viele Spiele sind exotischer, wenn man sie nachts spielt, weißt du.« Er sah ihr einen Moment zu lang in die Augen.
Schlagartig verging Allie der Appetit. Sie riss ihren Blick los von Sylvain und blickte irritiert durch den Raum.
Stuhl, Tisch, Mädchen mit Pferdeschwanz, Fenster, noch ein Stuhl …
Sie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. Als ihr Blick wieder zu ihm wanderte, spielte ein leises Lächeln um seine Lippen, während er eine Toastecke zwischen seinen langen Fingern zerkrümelte und dabei ihr Gesicht betrachtete.
Er flirtet mit mir. Definitiv.
»Schlagball zum Beispiel«, fuhr er bedächtig fort. »Und Fußball ohne Licht. Obwohl es da manchmal ein bisschen … hart zugeht.«
Er balancierte ein Stück Speck auf seinen Fingerspitzen, während er die Möglichkeiten durchging. »Tennis mit fluoreszierenden Schlägern bei Neumond ist der Wahnsinn. Ich glaube, das würde dir gefallen. Ich verspreche, wenn wir das nächste Mal spielen, finde ich dich – wo immer du bist.«
Wie hypnotisiert sah sie ihm beim Essen zu.
»Allie. Wie schön, dich wiederzusehen.« Katie nahm sich einen Stuhl und setzte sich gegenüber an den Tisch. »Und Sylvain. Welch Überraschung.«
Ihre lang gelockten, roten Haare gaben den perfekten Kontrast zu ihrer milchig durchscheinenden Haut ab. Im weichen Morgenlicht wirkte Katie wie erleuchtet. Sie war umgeben von einer kleinen Gruppe perfekt gestylter Mädchen, die Allie amüsiert beobachteten.
Sylvain warf ihr einen eisigen Blick zu. »Ich wollte eigentlich gerade gehen.«
Er wandte sich wieder Allie zu. »Ich glaube, wir haben zusammen Englisch. Diese Woche ist Robert Browning dran, falls du vor der Stunde noch etwas lesen willst. Bis gleich.«
Er spazierte davon, bevor sie fragen konnte, woher er wusste, welche Kurse sie belegte. In der Tür drehte er sich noch einmal kurz um, und als ihre Augen sich trafen, war Allie, als hätte jemand eine warme Decke über ihre Schultern gebreitet. Als er weg war, lächelte sie ihren Apfelsaft an.
»Sylvain ist ein Schnuckel, nicht?« Ein forscher West-Londoner Tonfall zerschnitt ihre Träumerei. Allie schaute auf und sah sich Katies wissendem Blick ausgesetzt. »Diese verträumten Augen und dieser Akzent, zum Dahinschmelzen. Seine Freundin ist auch ganz schnuckelig, oder?« Sie wandte sich an eine
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