Night School 01 - Du darfst keinem trauen
ihren Gedanken. Carter servierte ihr gerade etwas Eintopf. Er lächelte schuldbewusst, als ihre Blicke sich trafen.
»Mmmh … lecker Eintopf«, sagte er etwas unmotiviert, und sie war selber überrascht, dass sie lachen musste.
Dann schippte er noch etwas Gemüse zusätzlich auf ihren Teller, doch als er auch noch ein Brötchen dazulegen wollte, hob sie kapitulierend die Hände. »Ist ja schon gut, hör auf. Ich ess was. Versprochen.« Sie nahm pflichtschuldigst einen Bissen und kaute mit gespielter Begeisterung. »Zufrieden?«
Carter ignorierte ihren Sarkasmus. Er war nun damit beschäftigt, seinen eigenen Teller zu leeren. Und wenn Allie ehrlich war, hatte ihr dieser erste Bissen ziemlich gut geschmeckt, und der zweite ging sogar noch leichter runter. Am Ende hatte sie den Teller leer gegessen, saugte noch den letzten Rest Soße mit ihrem Brötchen auf und sank anschließend mit einem zufriedenen Seufzer in ihren Stuhl zurück.
»Da hatte aber jemand ganz schön Hunger«, bemerkte Carter amüsiert.
»Mein Bruder sagt immer, ich würde essen wie ein Kerl …«, sagte Allie, ohne nachzudenken, und ihr Lächeln erstarb so plötzlich, wie es gekommen war. Sie sprach sonst nie über Christopher.
Je mehr sich das Gerücht über die bevorstehende Erklärung verbreitete, desto unruhiger wurde es im Raum. Allie war erleichtert, dass sich die Dinge, wenn auch nur vorübergehend, wieder etwas normalisiert hatten. Sie betrachtete reihum ihre Tischgenossen, und da bemerkte sie, wie fahl und sorgenvoll Jo aussah, die lustlos in ihrem Essen stocherte. Ehe sie etwas zu ihr sagen konnte, ertönte von vorn eine Stimme.
»Darf ich mal um eure Aufmerksamkeit bitten?«
In eine ordentlich gebügelte schwarze Hose und einen blassblauen Cardigan gekleidet, stand Isabelle da und wartete gelassen ab, bis der Lärm abgeebbt war. Der Mann, mit dem sie am Abend zuvor getanzt hatte, stand wenige Schritte hinter ihr, die Hände ruhig gefaltet. Seinen wachsamen Augen schien nichts zu entgehen. Dann begann Allies Herz plötzlich wie wild zu klopfen – Sylvain spazierte durch die Tür und stellte sich daneben, so als wäre er Teil eines Triumvirats.
Was hat der denn da verloren?
Isabelles Miene war düster, doch Allie bewunderte, wie normal sie trotzdem aussah.
»Ich weiß, viele von euch haben die ganze Nacht kein Auge zugetan, und ich kann mir vorstellen, wie müde ihr seid. Wir sind alle sehr dankbar, dass ihr so toll mitgeholfen habt, das Feuer in den Griff zu kriegen.«
Allie schaute zu Carter hinüber und sah, dass er Isabelle mit leicht gefurchter Stirn beobachtete.
»Was letzte Nacht passiert ist, ist in der Geschichte Cimmerias ohne Beispiel«, fuhr Isabelle fort. »Es hat uns zutiefst verstört, und es wird sehr viel Mühe erfordern, alles wieder in Ordnung zu bringen. Das Feuer hat einige der alten Wanddekorationen beschädigt, und Teile unserer Geschichte sind unwiederbringlich verloren. Aber ihr könnt sicher sein, wir werden diese Schule wieder herrichten, und alles wird weitergehen wie bisher.«
Es erhob sich zaghafter Applaus aus der Schülerschaft. Überrascht wartete Isabelle, bis er sich wieder gelegt hatte.
»Was letzte Nacht passiert ist, ist sehr traurig und hat uns alle mitgenommen. Unsere Gedanken sind bei denen, die Ruth Janson nahestanden – sie war ein liebenswürdiges, wenn auch etwas verwirrtes Mädchen, und wir werden sie alle vermissen. Ihr Selbstmord ist ein großer Schock für uns alle.«
Allie schnappte nach Luft und schlug die Hand vor den Mund. Selbstmord? Wovon redet die?
»Wir wissen, dass einige von euch Schwierigkeiten haben werden, mit Ruths Tod umzugehen. Und wir alle – das Lehrerkollegium und ich selbst – stehen jederzeit bereit, wenn ihr Rat braucht oder einfach nur jemanden, der euch zuhört.« Isabelles Blick war von Verständnis durchdrungen. »Ihr braucht nicht alleine zu leiden.«
Ein Murmeln ging durch den Saal, und Allie bemerkte, dass einige Schüler weinten. Sie drehte sich zu Jo um und sah, dass sie sich auf die Lippe biss und versuchte, nicht in Tränen auszubrechen. Gabe hatte seinen Arm um sie gelegt.
»Kommende Woche wird es in der Kapelle einen Gedenkgottesdienst geben. Ich bin sicher, dass diejenigen von euch, die sie kannten, daran teilnehmen möchten.«
Nachdem sie einen Augenblick abgewartet hatte, bis all diese Informationen gesackt waren, fuhr Isabelle etwas zügiger fort. »Einige Schüler, die bei dem Brand verletzt wurden, werden uns morgen
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