NIGHT WORLD - Engel der Verdammnis
Gelübde ab. Wenn du das tun kannst, bist du auch mutig genug, um zu tun, was notwendig ist, um dir deinen Herzenswunsch zu erfüllen.« Er hielt bewusst einen Moment lang inne. »Aber wenn du natürlich nicht mutig genug bist, wenn du willst, dass ich weggehe...«
»Nein«, rief Gillian. Das meiste von dem, was er sagte, klang vernünftig, und was die Dinge betraf, die sie nicht verstand - nun, sie würde Vertrauen haben müssen.
Ich kann das schaffen.
Zum Zeichen, dass es ihr ernst war, griff sie nach der Schere, umklammerte den hellblonden Vorhang auf der Höhe ihrer Ohren und drückte die Schere zu. Aber ihr Haar legte sich einfach um die Schneiden.
»Okay.« Der Engel lachte. »Halt das Haar an den Spitzen fest und zieh. Und versuch es mal mit weniger Haaren.«
Er klang wieder wie er selbst: Warmherzig und neckend und liebevoll - hilfsbereit. Gillian atmete tief aus, schenkte ihm ein unsicheres Lächeln und machte sich an die ebenso schreckliche wie faszinierende Aufgabe, lange, blonde Strähnen abzuschneiden.
Als sie fertig war, hatte sie eine seidige, blonde Kappe auf dem Kopf. Kurz. Es war kürzer als Amys Haar, beinahe so kurz wie das von J. Z. Oberlin, dem Mädchen in der Schule, das als Model arbeitete und aussah, wie aus einer Werbekampagne von Calvin Klein. Es war richtig kurz.
»Schau in den Spiegel«, sagte der Engel, obwohl Gillian bereits hineinschaute. »Was siehst du?«
»Jemanden mit einem schlechten Haarschnitt?« »Falsch. Du siehst jemanden, der mutig ist und stark in der Welt steht. Der einzigartig ist. Individuell. Und dazu noch einfach hinreißend.«
»Oh, bitte.« Aber sie sah tatsächlich anders aus. Unter dem fransigen Schopf schienen ihre Wangenknochen deutlicher hervorzutreten; sie sah älter aus, erfahrener. Und sie hatte Farbe im Gesicht.
»Aber es ist immer noch ganz ungleichmäßig.«
»Das können wir morgen korrigieren.
Das Wichtige ist, dass du den ersten Schritt selbst getan hast. Übrigens, du solltest besser lernen, das mit dem Erröten in den Griff zu bekommen. Ein so schönes Mädchen wie du muss sich an Komplimente gewöhnen.«
»Du bist eine komische Art von Engel.«
»Ich hab's dir doch gesagt, es gehört zum Job. Jetzt lass mal sehen, was du im Kleiderschrank hast.«
Eine Stunde später lag Gillian wieder im Bett. Diesmal unter Decken, statt unter Plüschtieren. Sie war müde, benommen und sehr glücklich.
»Schlaf gut«, sagte der Engel. »Du hast morgen einen großen Tag.«
»Ja. Aber warte mal.« Gillian versuchte, die Augen offen zu halten. »Da sind noch einige Dinge, die ich vergessen habe, dich zu fragen.«
»Frag nur.«
»Dieses Weinen, das ich im Wald gehört habe - der Grund, warum ich hineingegangen bin. War das ein Kind? Geht es ihm gut?«
Es folgte eine kurze Pause, bevor er antwortete. »Diese Information ist geheim. Aber mach dir keine Sorgen«, fügte er hinzu. »Niemandem ist ein Leid geschehen - im Augenblick.«
Gillian öffnete ein Auge, um ihn anzuschauen, aber es war offensichtlich, dass er nicht mehr sagen wollte. »Okay«, antwortete sie widerstrebend. »Und die andere Sache war - ich weiß immer noch nicht, wie ich dich nennen soll.«
»Das habe ich dir schon gesagt. Angel.«
Gillian lächelte und musste sofort so heftig gähnen, dass sie sich beinahe den Kiefer ausrenkte. »Na schön. Angel.« Sie öffnete noch einmal die Augen. »Warte. Noch eine letzte Sache...«
Aber es fiel ihr nicht mehr ein. Da war noch irgendein anderes Rätsel gewesen, nach dem sie hatte fragen wollen, etwas, das mit Tanya zu tun hatte, mit Tanya und Blut. Aber sie konnte sich nicht darauf besinnen.
Oh, hm. Sie würde sich später daran erinnern. »Ich wollte nur noch sagen -danke.«
Er schnaubte. »Das kannst du jederzeit sagen. Krieg es endlich in deinen Kopf, Kleines: Ich werde nirgendwo hingehen. Ich werde auch morgen früh noch hier sein.« Er begann einen Song von Blind Melon zu summen. »I`ll always be there when you wake...«
Gillian fühlte sich warm, beschützt... geliebt. Lächelnd schlief sie ein.
Am nächsten Morgen erwachte sie ziemlich früh und verbrachte lange Zeit im Badezimmer. Verlegen und ein wenig benommen ging sie die Treppe hinunter. Ohne ihr Haar fühlte ihr Hals sich so an, als schwebe er in der Luft. Sie atmete tief durch, bevor sie in die Küche ging.
Keiner ihrer Eltern war da, obwohl ihr Vater normalerweise um diese Zeit frühstückte. Stattdessen saß ein Mädchen mit dunklem Haar am Küchentisch, tief über ein
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